Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Die bei Gautsa gelegene tibetische Münzstätte von Norbu Tshokyil, photographiert circa 1930

Münzstätte von Norbu Tshokyil (Nor-bu mtsho-dkyil)

Norbu Tshokyil ist die Bezeichnung des Ortes einer tibetischen Münzstätte im Chumbi-Tal unweit von Gautsa (dGa´-rtsa). In dieser Münzstätte wurden von 1924 bis zur ihrer Schließung im Jahre 1929 Kupferrohlinge (Schrötlinge) hergestellt, die dann in Lhasa für die Prägung von Kupfermünzen verwendet wurden.

Abbildung 2: Lage von Gautsa (unteres Drittel, links) auf dem Reiseweg von Gangtok (Sikkim) nach Lhasa

Der tibetische Name des Ortes dieser Münzstätte – Nor-bu mtsho-dkyil - bedeutet “Juwel inmitten des Sees”. Da das meiste Kupfer für die tibetischen Münzprägungen des 20. Jahrhunderts von Indien importiert wurde und da Brennmaterial für Schmelzöfen in Lhasa knapp war, beschloss die tibetische Regierung im Jahr 1923, eine Zweigmünze im Chumbi-Tal auf der Handelsstraße nach Sikkim und Indien zu errichten. Die kleine Fabrik lag bei Gautsa, war 9 Meilen von  Yatung (Gro-mo) entfernt und war mit einigen Unterbrechungen von 1924 bis 1928 in Betrieb. Hier gab es eine große Menge Bäume, die als Brennmaterial dienen konnten. Man entschied, dass in dieser Münze nur Kupferrohlinge (Schrötlinge) hergestellt werden sollten, um diese dann in den Münzstätten in Lhasa für die Münzprägung zu verwenden.

In seiner Eigenschaft als einer der Direktoren der Münzstätten von Lhasa inspizierte Tsharong Shabpe (Zla-bzang dgra-´dul, Tsha-rong dza-sag) Ende 1924 die Fabrik von Norbu Tshokyil (Taring, 1978, S. 68).

Bis Ende 1928 stellte man hier mithilfe einer von Hand bedienten Hebel-Stanzmaschine Kupferrohlinge her. Im gleichen Jahr floh der für die Münze verantwortliche Regierungsbeamte Kelsang (bsKal-bzang) nach Indien, nachdem man ihn beschuldigt hatte, sein Einkommen dadurch zu verbessern, dass er außer Rohlingen auch fertige Münzen herstellen ließ.

Im Januar 1929 setzten sich auch 18 der Schmiede, die in der Fabrik tätig waren, nach Kalimpong (Indien) ab. Die übrigen Schmiede und sonstigen Arbeiter wurden von den Münzstätten in Lhasa übernommen.

Grund der  Schließung der Münze im Jahr 1929 war neben den erwähnten angeblichen Unregelmäßigkeiten der Beschluss der Regierung Tibets, zunächst keine weiteren Kupfermünzen in Lhasa zu prägen. Die Schließung sollte nur vorübergehend sein, jedoch wurde die Fabrik von Norbu Tshokyil nie mehr in Betrieb genommen, auch dann nicht, als in Lhasa ab 1932 wieder Kupfermünzen geprägt wurden. Im Dezember 1942 sorgte der tibetische Handelsagent von Gyantse (rGyal-rtse)  Kenchung Kelsang Tshulthrim (mkhan-chung bsKal-bzang tshul-khrims) für die Verfrachtung des in der Fabrik noch vorhandenen Materials nach Lhasa. Später wurden auch die Maschinen nach Lhasa gebracht, und das Münzgebäude wurde fortan für andere Zwecke benutzt (Rhodes, 1978).

R. K. Sprigg, der in den frühen 1950er Jahren als einer der letzten westlichen Ausländer das Chumbi-Tal besuchte, photographierte die damals noch erhaltenen Gebäude dieser ehemaligen Fabrik (mündliche Mitteilung an den Verfasser).

   

Abbildung 3: Die Münzstätte von Norbu Tshokyil, im Februar-März 1937 von Frederick Spencer Chapman photographiert

 

Abbildung 4:  Norbu Tshokyil, photographiert von Richard Keith Sprigg in den frühen 1950er Jahren

Philip Neame lieferte eine kurze Beschreibung der ersten Begegnung mit diesem Ort, als eine britische Mission im August 1936 nach Lhasa reiste: 4. August - "Einige Meilen weiter [von Lingmathang] passierten wir eine bemerkenswerte Ansammlung von Gebäuden, von welchen eines mit einem großen Wasserrad verbunden war;  dies war einst die tibetische Regierungs-Münzstätte wo Papier hergestellt, Banknoten gedruckt und Münzen geprägt wurden. Sie werden jetzt nicht mehr benutzt, da die tibetische Regierung verständlicherweise ihre Münzstätte lieber in der Nähe von Lhasa und damit unter besserer Kontrolle hat" ['Lhasa Mission, 1936: Diary of Events', part II] [MS 10/03/2006].

Kommentar: Die Erwähnung des Wasserrades lässt den Schluss zu, dass es in Norbu Tshokyil auch Maschinen gegeben haben muss, die mit diesem angetrieben wurden. Die Angaben Neame´s zu Papierherstellung und zum Banknotendruck beruhen wohl auf Fehlinformationen.

Literatur

Bla-phyag mkhan-chung Thub-bstan bstan-pa: Rang-myong drang-brjod kyi zin-bris („Ein ehrlicher Bericht meiner Erfahrungen”). DIIR (Department of International Relations). Central Tibetan Administration, Dharamsala, 2003.
Easton, John: An Unfrequented Highway. London, 1928.
Rhodes, Nicholas: Tibetan Mints. Oriental Numismatic Society, Information Sheet No. 19, August 1978.
Rhodes, Nicholas and Deki: A Man of the Frontier. S.W. Laden La (1876-1936). His Life & Times in Darjeeling and Tibet. Published by Mira Bose, Kolkata, 2006.
Taring, Rinchen Dolma: Daughter of Tibet. Indian Reprint. R.N. Sachdev, New Delhi, 1978 (Erstveröffentlichung: John Murray Publishers, London, 1970).
Unveröffentlichte Quelle: India Office Library and Records, London.File: L/P&S/12/4208 Yatung Trade Agency Reports, for the period ending 15.Dec. 1942.

Autor: Wolfgang Bertsch, 2010. Abbildungsnachweise: Abbildung 1: Rhodes, Nicholas and Deki: A Man of the Frontier. S.W. Laden La (1876-1936). His Life & Times in Darjeeling and Tibet. Published by Mira Bose, Kolkata, 2006, S. 45. Abbildung 2: The Tibet Album. British Photography in Central Tibet 1920-1950 ( http://tibet.prm.ox.ac.uk/tibet_places_zoommap.html ). Abbildung 3: The Tibet Album. British Photography in Central Tibet 1920-1950 ( http://tibet.prm.ox.ac.uk/photo_1998.131.127.html ). Abbildung 4: R.K.Sprigg. Erstveröffentlichung durch Gabrisch Karl, Geld aus Tibet. Sammlung Dr. Karl Gabrisch, Rikon und Winterthur, 1990.