Tibet-Encyclopaedia

 

Muhammad Rafi Khan (Herrscher von Skardu in Baltistan, Klein-Tibet)

Muhammad Rafi Khan (auch Muhammad Rafi oder Rafi Khan genannt) regierte als Mitglied der Makpon-Herrscherfamilie von Skardu in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Er war der älteste Sohn von Murad Khan und beim Tod seines Vaters (nach 1667) noch minderjährig, so dass sein machtgieriger Onkel Sher Khan die Herrschaft in Skardu an sich reißen konnte. Dabei wurde Muhammad Rafi Khan von Sher Khan interniert. Nachdem er sich aus dieser Gefangenschaft hatte befreien können, kämpfte er an der Seite von Imam Quli Khan aus Shigar gegen seinen Onkel. Als Sher Khan wegen der Übermacht seiner Gegner jeden Widerstand (vor 1774) aufgab, wurde Muhammad Rafi Khan als König von Skardu inthronisiert, während Sher Khan sich nach Kartaksho zurückzog. Sher Khan plante wenig später eine erneute Übernahme der Macht von Baltistan. Es gelang ihm, seinen Neffen ein zweites Mal festzunehmen und in Parkuta in Gefangenschaft zu halten. Während des folgenden zweiten Krieges zwischen Sher Khan und Imam Quli Khan wurde Muhammad Rafi Khan aus seiner Gefangenschaft in Parkuta befreit. An der Seite von Imam Quli Khans Truppen nahm er am Feldzug gegen Sher Khan teil, der nach der folgenden endgültigen Niederlage vermutlich nach Purik ins Exil ging. Danach regierte Muhammad Rafi Khan unangefochten bis zu seinem Tod. Sein Nachfolger war Sultan Murad Khan.

Muhammad Rafi Khan wird in Cunninghams (S. 35) Liste der „Gyalpos of Balti“ als 6. Herrscher aufgeführt. Die einzige bisher bekannt gewordenen Quelle über sein Leben ist die Verschronik Shigar Nāma.

Als Murad Khan starb, hinterließ er drei minderjährige Söhne, nämlich Muhammad Rafi Khan, Radi Khan und Daulat. Von diesen war der älteste Sohn Muhammad Rafi zum Nachfolger von Murad Khan auserkoren worden. Murad Khan hatte testamentarisch verfügt, dass seine minderjährigen Söhne bei seinem Vertrauten Ruhan Sadaf aufwachsen und sein Bruder Ali Shah die Herrschaft über Skardu ausüben sollte, solange Murad Khans Sohn Muhammad Rafi minderjährig war. Ali Shah fühlt sich aber dieser Aufgabe nicht gewachsen. Er forderte deshalb seinen jüngeren Bruder Sher Khan, der in Kartaksho regierte, auf, die Herrschaft zu übernehmen. Dazu erklärte er, dass Sher Khan Muhammad Rafi Khan dadurch ruhigstellen könnte, dass dieser Sher Khans Tochter heiratete. Begleitet von seinen Truppen zog Sher Khan mit der Vorgabe, als trauernder Bruder des Verstorbenen seinen Verwandten einen Besuch abzustatten, nach Skardu und riss die Macht an sich. Muhammad Rafi Khan aber wurde von ihm interniert (Behrouz, S. 130ff).

Während des folgenden ersten großen Krieges zwischen Sher Khan und Imam Quli Khan konnte sich Muhammad Rafi Khan aus seiner Gefangenschaft befreien und zu Imam Quli Khan nach Shigar fliehen. Hier sammelte er zahlreiche Getreue um sich und nahm an der Eroberung Khaplus mit einem eigenen Heer teil. Seine Krieger standen auch an der Seite Imam Quli Khans, als dieser gegen Skardu vorrückte. Sher Khan übergab die Festung Kharphocho kampflos und zog sich nach Kartaksho zurück, während Muhammad Rafi Khan den Thron von Skardu bestieg. Das letztgenannte Ereignis muss einige Jahre vor 1674 stattgefunden haben.

Sher Khan reiste zunächst nach Kaschmir und begann mit der Planung eines neuen Angriffs gegen Shigar. Zunächst verbündete er sich mit seinem Neffen Yakub und dessen Cousin Hatam Khan, die in Khaplu und im Hushe-Tal regierten. Als Imam Quli Khan von diesen Kriegsvorbereitungen erfuhr, warnte er Muhammad Rafi Khan und schlug einen Präventivschlag gegen Sher Khan vor. Der naive Muhammad Rafi Khan vertraute aber auf Sher Khans Zusage , die dieser bei seiner Niederlage abgegeben hatte, in Zukunft sich friedlich zu verhalten und seinem Neffen den Thron nicht streitig zu machen. Muhammad Rafi Khan lehnte es somit ab, mit Imam Quli Khan gegen Sher Khan in den Krieg zu ziehen. In seiner Vertrauensseligkeit gestatte er sogar seinem Onkel Sher Khan, ihm in Skardu einen Besuch abzustatten. Sher Khan umgarnte ihn zunächst nach seiner Ankunft in Skardu, ließ ihn dann aber in einer Überraschungsaktion festnehmen und hielt ihn in Parkuta in Gefangenschaft. Nachdem er nun ein zweites Mal die Herrschaft über Skardu an sich gerissen hatte, konnte Sher Khan einen zweiten großen Krieg gegen Shigar beginnen.

Der nun folgende Krieg zog sich über die Jahre 1678/79 hinaus. Zwischenzeitlich konnte Imam Quli Khan den unglücklichen Muhammad Rafi Khan aus seinem Gefängnis in Parkuta befreien und nach Skardu bringen, wo seine Truppen die Festung Kharphocho belagerten. Letztendlich gab Sher Khan auf und ging ins Exil.

Wir können davon ausgehen, dass Muhammad Rafi Khan von nun an (nach 1678/79) unangefochten in Skardu regierte. Über sein Todesjahr ist nichts bekannt. Sein Nachfolger Sultan Murad Khan regierte bis 1723.

Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Koshrow Behrouz:Shigar-Nāma. Eine persische Verschronik über die Geschichte Baltistans. Kritische Textausgabe, Kommentar und Übersetzung. Unveröffentlichtes Manuskript aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts
John Biddulph: Tribes of the Hindoo Koosh. Reprint. New Delhi 2001
Alexander Cunningham: Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries. New Delhi 1977 (reprint)
A. H. Francke: Antiquities of Indian Tibet. Part (Volume) II. The Chronicles of Ladakh and Minor Chronicles. Texts and Translations, with Notes and Maps. (Reprint) New Delhi 1972
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht

Autor: Dieter Schuh, 2010

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