Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Der Felsen der zerstörten Burg von Haldi in der Mündung des Saltoro (von links kommend) in den Hushe-Fluß. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Haldi (Baltistan/Saltoro)

Haldi (auch Huldi und Hulde genannt) ist eine kleine Oase an der Mündung des Saltoro in den Hushe-Fluß. Historisch bedeutsam ist dieser Ort durch die Burg, die auf einem großen Felsen im Flußbett des Saltoro erbaut worden war und die im 17. Jahrhundert das Zentrum eines eigenständig regierten, kleinen Teilreiches von Khaplu bildete. Heute sind von der einstmals riesigen Festung nur noch Trümmer übrig. Vor dem Ortseingang von Haldi befindet sich ein großer Friedhof für die Soldaten der pakistanischen Armee, die in den Kämpfern mit der indischen Armee am Siachen-Gletscher gefallen sind. Eine gewisse Beachtung verdient die große Khanqa-Gebetshalle von Haldi, die allerdings vor wenigen Jahren renoviert wurde und somit eher als Neubau zu bewerten ist.

   

 Abb. 2: Lage von Haldi (Huldi) nordöstlich von Khaplu (Khapalu). Ausschnitt aus der Karte "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik

 

Abb. 3: Lage von Haldi (Hulde) nach der Karte der Eheleute Workman

Erste Informationen über Haldi verdanken wir Fanny Bullock Workman und ihrem Mann William Hunter Workman, die ihren Aufenthalt des Jahres 1911/12 in Haldi kurz beschrieben haben (S. 47) und ein Photo von diesem kleinen Ort veröffentlichten (siehe Saltoro, Abb.18). Der pakistanische Historiker A. H. Dani hat das Saltoro-Tal mit Haldi in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts bereist. Während die Eheleute Workmans östlich von Khaplu über den Shayok setzten und über Gourtse (siehe Abb. 3) entlang des linken Ufers des Hushe die Oase Haldi erreichten, wählte Dani den Weg am rechten Ufer des Shayok über Daghoni, Kharku und Saling, um dann nach Machulu am rechten Ufer des Hushe-Flusses weiterzureisen. Hinter Talis überquerte er den Hushe über eine Brücke, die auch heute noch benutzt wird, zum Ort Balagrong. Von diesem Ort aus erreicht man in südlicherer Richtung nach nicht allzulanger Fahrt über eine unbefestigte, sandige Straße die kleine Oase Haldi.

Abbildung 4: Das Dorf Haldi von der Burg von Haldi aus photographiert. In der Bildmitte der Saltoro-Fluß (Mai 2012)

 Abbildung 5: Haldi und seine Burg am Zusammenfluß des Hushe mit dem Saltoro von einem Standort südlich von Machulu auf der rechten Seite des Hushe photographiert (Mai 2012)

Abbildung 6: Großer Soldatenfriedhof am westlichen Ortseingang von Haldi (Mai 2012)

Heute gehört Haldi zum Gangche-Distrikt von Baltistan. Nach der Gebietsaufteilung der 50er und 60er Jahre war Haldi dem Kreis (Patwar) Tagas zugeordnet. 1950 betrug die Einwohnerzahl von Haldi 413. 1960 zählte man 469 Personen (Afridi, S. 276). Neuere Angaben zur Einwohnerzahl liegen mir nicht vor.

Die Einwohner von Haldi zeigten sich bei unserer Ankunft außerordentlich besucherfreundlich. Unser Begleiter Muhammad Kamal durfte die Männer sogar beim Mittagsgebet in der großen Khanqa-Gebetshalle photographieren.

Abbildung 7: Freundliche Begrüßung durch einen Dorfbewohner. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 8: Männer von Haldi beim Mittagsgebet. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 9: Kinder in Haldi. Siegfried Rademacher (Mai 2012)

A. H. Dani (S. 141) hat die Khanqa-Gebetshalle von Haldi als Gebäude mit vier Säulen beschrieben. Nach seiner Beschreibung hatte diese Khanqa eine um das ganze Gebäude herumlaufende Veranda. Falls diese Beschreibung so stimmt, kommt man nach einem Vergleich mit dem heutigen Zustand des Gebäudes zu dem Schluß, daß die alte Gebetshalle völlig abgerissen wurde und durch ein wesentlich größeres, neues Gebäude mit neun Säulen und zwei Veranden zur Ost- und Südseite ersetzt worden ist. Es handelt sich bei diesem Neubau um einen einfachen sehr großen Hallenbau. Nebenräume finden sich nur über der östlichen Veranda. Auf der durch einen Holzverschlag abgetrennten südlichen Veranda, deren Decke reichverziert ist, befindet sich in westlicher Richtung eine separate Gebetsnische. Dani fand in Haldi auch eine schiitische Matam Serai-Gedenkhalle und eine kleine Moschee vor, die ich aber bei meinem Besuch 2012 nicht aufgesucht habe.

Abbildung 10: Die Khanqa von Haldi von Norden aus photographiert. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 11: Östliche Veranda der Khanqa von Haldi (Mai 2012)

Abbildung 12: Südseite der Khanqa von Haldi (Mai 2012)

Abbildung 13: Decke der Veranda auf der Südseite der Khanqa von Haldi (Mai 2012)

   

Abbildung 14: Gebetsnische auf der südlichen Veranda der Khanqa von Haldi (Mai 2012)

 

Abbildung 15: Eingangstür der Khanqa von Haldi (Mai 2012)

Abbildung 16: Innenraum der Khanqa von Haldi. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 17: Gebetsnische (Mihrab) und Predigerstuhl der Khanqa von Haldi. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Die Burg erreichte ich von Haldi aus, indem ich bei niedrigem Wasserstand nach Westen im trockenen Flußbett marschierte. Auf dem leicht zu erreichenden sehr großen Plateau des Felsens fanden sich nur Trümmer einer früher sicherlich sehr stattlichen Festung, die wohl auch zu Wohnzwecken und als Verwaltungszentrum benutzt wurde. Die strategische Lage an der Mündung des Saltoro in den Hushe machte es möglich, von hier aus die Täler beider Flüsse zu kontrollieren. Als einzigen Nutzgegenstand fand ich einen sehr großen steinernen Mörser mit einem Stößel vor, den man offenbar wegen seines großen Gewichts nicht abtransportieren konnte.

Aus dem Dunkel der Geschichte trat die Burg von Haldi durch Berichte in der Verschronik Shigar Nāma. Die erste Erwähnung von Haldi in dieser Chronik erfolgt in dem Bericht über die Eroberung des Königreichs Khaplu durch den Statthalter von Skardu Murad Khan in der ersten Hälfte der 50er Jahre des 17. Jahrhunderts. Militärisches Ziel war die Eroberung der Bergfestung Thortsi Khar in Khaplu. Strategisch notwendig waren hierzu die Eroberung der auf dem Weg nach Khaplu liegenden Festung Kharku und die Einnahme von Haldi. Entsprechend lesen wir im Shigar Nāma (Behrouz, S. 109):

„Nachdem sie in das Land Kharku einmarschiert waren, machten sie ich an die Belagerung der Festung und eroberten sie samt Vorräten, Reichtümern, Thron und Siegel in einem Atemzug. Von dort aus eilten sie nach Haldi und zerstörten die Burg. Die siegreichen Truppen eroberten dabei uneingeschränkt Gold, Pferde und Vorräte.“

Nach der Eroberung von Khaplu und der Ermordung des dortigen Herrschers Rahim Khan übertrug Murad Khan seinen Neffen Yakub und Babur die Herrschaft über dieses Land. Wir können davon ausgehen, daß es dabei zu einer Landesteilung kam, so daß einer dieser beiden in Khaplu residierte, während der andere über das Teilreich Saltoro/Hushe mit dem Herrschersitz in Haldi regierte. Allerdings vertrieb Babur nach kurzer Zeit seinen Bruder Yakub und regierte für einige Zeit das wiedervereinte Königreich von Khaplu alleine.

1674 kam es zu einer Neuordnung der Herrschaftsverhältnisse in Khaplu. In diesem Jahr fielen Truppen aus Ladakh, die ein Jahr zuvor Purik erobert hatten, in Khaplu ein und besetzten dieses Land. Im Hushe/Saltoro Tal setze der ladakhische Heerführer Hatam Khan als Herrscher ein. Hatam Khan war ein Sohn des von Murad Khan bei der Eroberung von Khaplu ermordeten Rahim Khan. In Khaplu selbst wurde Yakub als Herrscher eingesetzt, der nunmehr von Thortsi Khar aus regierte. Yakub war bezeichnender Weise der Cousin von Hatam Khan und war einige Jahre zuvor von seinem Bruder Babur aus Khaplu vertrieben worden. In Khaplu wurde eine ladakhische Besatzungstruppe stationiert. Nach der Rückeroberung von Purik durch den Gouverneur von Kaschmir Ibrahim Khan im Jahre 1678/79 rebellierte Yakub erfolgreich gegen die ladakhische Besatzung. Anschließend griff er den im Hushe/Saltoro Tal regierenden Hatam Khan an. Das Shigar Nāma begründet diesen Krieg damit, daß Hatam Khan die Vertreibung der ungläubigen ladakhischen Buddhisten mißbilligte. Tatsächlich folgt aber dieser Angriff gegen Hatam Khan dem alten Verhaltensmuster der Herrscher in Baltistan, lästige Rivalen auszuschalten.

Über diesen Angriff von Yakub gegen Hatam Khan lesen wir im Shigar Nāma (Behrouz, S. 206) folgendes:

„Die aufgeklärten Freunde bestätigten Yakubs Taten mit den Worten: ‚Du gewandter Reiter! Du hast mit der Vertreibung der bösen Armee großmütig gehandelt. Sie haben sich alle gegürtet, dich zu töten, deinen Leib mit Blut zu tränken, und sie wollten, daß der hochmütige Hatam [Khan] das gesamte Land Khaplu … erobere.‘ Als Yakub der Richtigkeit [dieser Schilderung] nachging, versetzte ihm (der Gedanke an) Hatam [Khan] einen Stich ins Herz. Er forderte die Armee auf, sich vorzubereiten, um Hatam [Khan] unter Einsatz aller Kräfte festzunehmen. Daraufhin verließen die Mutigen Khaplu und begaben sich zum Grenzgebiet Saling. Sie belagerten die furchterregende Burg, schnitten die Köpfe wie die Trauben von den Weinreben ab, bemächtigten sich der Burg und besiegten die Truppe in der Festung.

Von dort aus ritten die Helden zum Grenzgebiet Haldi. Als Hatam [Khan] von diesem Aufruhr erfuhr, wurde sein rotes Antlitz kreidebleich. Er verließ mit seiner Truppe die Festung, um die Gegner zu erniedrigen. Sobald er mit einer Gruppe aus der Burg herauskam, erschien ihm die prachtvolle Armee. Als Yakub von weitem Hatam [Khan] erblickte, ritt er mit seinem schnellen Pferd zum Kampfplatz, und er, der edle Mann, befahl seiner Armee, ihn auf der Wiese zu ergreifen. Seiner Anordnung gemäß setzte sich die prachtvolle Armee stark wie ein Fels in Bewegung. Sie kämpften beharrlich eine Zeitlang, schließlich fehlten (den Gegnern) Ausdauer und Geduld, und sie verließen fluchtartig wie Schakale das Feld. (Yakubs Truppen) zertraten sie wie die Löwen, verjagten jene Truppe und erreichten vom Tiefland aus die Höhe. Sie zerschlugen das Festungstor und betraten nach dem Gefecht die Burg. Aber bei der Plünderung der Güter vernachlässigten sie Zucht und Ordnung. Hatams Männer zerschnitten und zerrissen ihnen danach mit Keule und Schwert Hirn und Milz. Sie verjagten jene Gruppe aus der Burg und drängten sie von der Höhe in die Tiefe. Yakub erlitt durch Hatam [Khan] eine Niederlage und legte aus Trauer die Hände in den Schoß. Von dort aus verzog er sich, rasch wie der Rauch vom Feuer, nach Khaplu.“

Nach dieser gewonnen Schlacht um Haldi verbündete sich Hatam Khan mit Imam Quli Khan von Shigar. Nach dessen Sieg im zweiten Krieg gegen Sher Khan verschwand Yakub von der Bildfläche. Hatam Khan aber regierte als Verbündeter Ladakhs über das nunmehr wiedervereinigte Königreich Khaplu bis in die 20er Jahre des 18. Jahrhunderts. Bis zur Eroberung Baltistans durch die Dogra 1840/42 blieb Khaplu ungeteilt. Die Burg von Haldi verlor als ehemaliges Zentrum eines Teilreiches von Khaplu ihre Bedeutung und wurde in den Kriegen des 18. Jahrhunderts nicht mehr erwähnt.

Abbildung 18: Der Felsen der Burg von Haldi vom Flußbett des Saltoro aus photographiert (Mai 2012)

Abbildung 19: Trümmer der Burg von Haldi (Mai 2012)

Abbildung 20: Der einzige gefundene Gegenstand der alten Burg: Ein überdimensionaler Mörser mit Stößel (Mai 2012)

Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Koshrow Behrouz: Shigar-Nāma. Eine persische Verschronik über die Geschichte Baltistans. Kritische Textausgabe, Kommentar und Übersetzung. Unveröffentlichtes Manuskript aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts
Ahmad Hasan Dani: Islamic Architecture. The Wooden Style of Northern Pakistan. Islamabad 1989
Dieter Schuh: Reise in die Geschichte Baltistans, 3 Bd. Andiast 2011
Fanny Bullock Workman and William Hunter Workman: Two Summers in the Ice-Wilds of Eastern Karakoram. The Exploration of nineteen hundred Square Miles of Mountain and Glacier. New York [1917]

Autor: Dieter Schuh, 2012 

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