Tibet-Encyclopaedia

 

   

Abbildung 1.Tibetische Armeefahne des in Lhasa stationierten Kha-dang Regiments

 

Abbildung 2: Tibetische Armeefahnen (1938/1939)

Die moderne tibetische Armee (1912-1959)

Mit dem Aufbau einer modernen tibetischen Armee wurde in Tibet erst nach 1912 unter der Herrschaft des 13. Dalai Lama begonnen. Nach Experimenten mit russischen und japanischen Vorbildern entschied man sich schließlich, die britische Armee und deren Uniformen als Modell für den Aufbau einer neuorganisierten tibetischen Armee zu Grunde zu legen (Bell, 1990, S.164). Eine ursprüngliche Planung, die tibetische Armee auf 30 Regimenter mit einer jeweiligen Truppenstärke von 500 bis 1000 Mann anwachsen zu lassen, wurde nie realisiert. Im Jahre 1950 betrug die Truppenstärke circa 10.000 Mann.

Inhaltsverzeichnis

1. Geschichte des Aufbaus der Armee
2. Ausrüstung
3. Gesamtstärke und Struktur der Armee
4. Identifikationsmarken und Offiziersabzeichen
5. Orden
6. Abbildung von Offizieren der tibetischen Armee aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
7. Literatur

1. Geschichte des Aufbaus der Armee

Zunächst wurde in den Jahren 1913-14 unter Mitwirkung von Dasang Dradül Tsharong (Zla-bzang dgra-´dul Tsha-rong) , dem späteren Oberbefehlshaber der Armee, die ursprüngliche Truppenstärke von 3000 auf 4000 Mann erhöht und die Armee in fünf Regimenter unterteilt (Goldstein, 1993, S. 67).

Nach 1914 plante man, die reguläre Armee auf insgesamt 30 Regimenter zu erweitern. Diese sollten nach den 30 Buchstaben (Konsonanten)  des tibetischen Alphabetes bezeichnet werden und eine Stärke von je 500 oder 1000 Mann haben. Eine 1914 eingeführte Exportsteuer auf Salz und Wolle sollte die hierfür nötigen Mittel bereitstellen, war jedoch nicht ausreichend. Als man eine Besteuerung der Klöster und des Adels ins Auge fasste, stieß die Regierung allerdings auf heftigen Widerstand. So kam es nur zur Schaffung einer weitaus kleineren Armee, welche zunächst aus nur zwölf Regimentern (mda´-shog) bestand.

2. Ausrüstung

Die Ausrüstung der Armee erfolgte überwiegend mittels Waffenimporten aus Britisch-Indien. Nach der Unabhängigkeit Indiens erhielt Tibet im Juni 1949 und März 1950 größere Waffenlieferungen von diesem südlichen Nachbarn (Shakya, 1999, S. 13).
Munition und einfachere Gewehre wurden in der tibetischen Fabrik und Münzstätte Trabshi Lekhung (Grwa-bzhi las-khungs) hergestellt.

   

Abbildung 3: Tibetische Armee bei Schießübungen (1936)

 

Abbildung 4. Vorbeimarsch mit Musikkapelle (1936)

3. Gesamtstärke und Struktur der Armee

Für November 1949 gaben tibetische Regierungsvertreter die Gesamtstärke der Armee mit 13.000 Mann an (Shakya, 1999, S. 13).

Die folgende Tabelle führt die Regimenter auf, die  im Jahr 1950, vor der chinesischen Invasion Tibets, existierten (nach Pa-sangs Nor-bu, 1992). Laut dieser Aufstellung betrug die gesamte Truppenstärke jedoch nur 10.000 Mann.

 

Name

Art des Regiments

Befehlshaber

Standort

Größe

Ka-dang (Das „Ka“-Regiment war eine Kavallerie-Einheit, die auch für den persönlichen Schutz des Dalai Lama verantwortlich war)

Kavallerie

Pa-lha sras rDo-rje dbang-´dus

Lhasa, westl. des Norbu Lingka

1000 Mann

Kha-dang

Infanterie

bKra-dpal bKra-shis phun-tshogs,  ´Os-rlom-pa rDo-rje rnam-rgyal

Trabshi, 3 km nördlich von Lhasa

1000 Mann

Ga-dang

Infanterie

 

Shigatse (gZhis-ka-rtse)

1000 Mann

Nga-dang

Infanterie

mTsho-go dNgos-grub rdo-rje

Tsho-ba so-dgu sTeng chen

500 Mann

Ca-dang

Infanterie

Brag-´zun-pa bsTan-pa tshe-ring

Nag-chu

500 Mann

Cha-dang

 

´Zum pa Ngag-dbang pad-mo

Tsho-ba so-dgu Ri-bo-che

 

Ja-dang

Infanterie

Phu-lung-pa Grags-pa tshe-brtan

Ri-bo-che

500 Mann

Nya-dang

Infanterie

Bla-yam Bya-rig-pa bSod-nams dbang-phyug

Brag-g.yab

500 Mann

Ta-dang

Infanterie

Shag-byung zur-pa Ngag-dbang rgyal-mtshan

sMar-khams (gNyan-chen)

500 Mann

Tha-dang

Infanterie

 

Rgya-mda´

500 Mann

Da-dang (Das „Da“-Regiment nahm in Lhasa auch Polizei-Funktionen wahr)

Infanterie

 

Lhasa

500 Mann

Pa-dang

Infanterie

 

´Bru-ru (lHa-ri; südöstlich von Nag-chu)

1500 Mann

Pha-dang

Infanterie

 

Nag-chu sog sa-khul

500 Mann

Ba-dang

Infanterie

Shag-byung-pa bSod-nams rdo-rje (tshab)

 

500 Mann

Ma-dang

 

Zha-sgab-pa Blo-bzang don-grub

 

500 Mann

Die kleineren Regimenter von 500 Mann Stärke waren wie folgt in kleinere Einheiten unterteilt:

1 mDa´ (Regiment, Battallion) = 2 Ru zu je 250 Mann
1 Ru (250 Mann) = 10 lDing zu je 25 Mann.
1 lDing = 2 bCu zu je 10 Mann sowie 5 Zusatzkräfte für Verwaltung und andere Aufgaben.

1 Ru konnte außerdem noch in zwei Hundertschaften (brgya) und 50 administrative Mitglieder unterteilt werden.

Die größeren Regimenter zu 1000 Mann Stärke wurden in 4 Ru zu je 250 Mann unterteilt.

Die Befehlshaber der Einheiten trugen Dienstgrade (go-gnas), die aus dem Namen der betreffenden Einheit unter Hinzufügung des Begriffs „dpon“ bestanden.

mDa´-dpon (entspricht in etwa dem Dienstgrad „General“)
Ru-dpon (Major)
brGya-dpon (Hauptmann)
lDing-dpon (Leutnant)
bCu-dpon   (Korporal)

Der Oberbefehlshaber der Armee hatte den Titel dmag-spyi che-ba.

4. Identifikationsmarken und Offiziersabzeichen
 

Abbildung 5: Identifikationsmarke für Mitglied 424 (unten) des siebten lDing (rechts) des zweiten Ru (links) des Ga-Regiments (oben: der Buchstabe ga und die Zahl 1 (dang-po) = ga-dang).

Jedes Regimentsmitglied hatte eine eigene Nummer; bei der auf Abbildung 2 zu sehenden Marke ist es die Nummer 424. Die Nummern wurden in logischer Folge vergeben: Für das erste Ru die Nummern 1 bis 250 und für das zweite Ru die Nummern 251 bis 500. Für das erste lDing (Einheit von 25 Mann) des ersten Ru wurden die Nummern 1 bis 25 für das zweite lDing die Nummern 26 bis 50 vergeben und so weiter bis zum zehnten lDing, für welches die Nummern 226 bis 250 vorgesehen waren. Analog wurde mit den Nummern des zweiten Ru verfahren. Für das siebte lDing des zweiten Ru lagen die Nummern demnach im Bereich von 401 bis 425.

Kommandeure trugen besondere Abzeichen, die, wie Abbildung 8 zeigt, bei militärischen Zeremonien vorne auf der Mütze befestigt wurden. Bei diesen Abzeichen könnte es sich um persönliche Anfertigungen handeln.

Abbildung 6:
Armee-Abzeichen für den Kommandeur (ru-dpon) des zweiten (rechts: die Zahl 2) Ru (links) des Ga-Regimentes (oben der Buchstabe ga und die Zahl 1 (dang-po) = ga-dang).

   

Abbildung 7: Armee-Abzeichen aus getriebenem Silberblech für einen hohen Offizier des Cha-Regimentes (unten der Buchstabe cha und die Zahl 1 (dang-po) = cha-dang) mit Wunschedelstein (nor-bu), flankiert von Mond und Sonne, (oben) und einem Scheelöwenpaar als Hauptmotiv in der Mitte.

 

Abbildung 8: Armeeabzeichen aus getriebenem Silberblech mit eingelegtem Türkis für einen hohen Offizier des Da-Regimentes.

5. Militärischer Orden (dpa´-rtags)

Für besondere Verdienste wurden für Angehörige der tibetischen Armee Orden (dpa´-rtags „Abzeichen für Heldenhaftigkeit“) verliehen. Hierzu ist ein Beispiel (Abbildungen 6 und 7) bekannt geworden.

Die kreisförmig im Uhrzeigersinn angeordnete Inschrift des Avers beginnt oben und lautet: vajra dhara ta-la´i bla-mas rab-byung 15 me-´brug zla tshes la stsal  „Durch den Vajradhara (Träger des Vajra) Dalai Lama an einem Tag in einem Monat des Feuer-Drachen Jahres des 15. Rab-byung(-Zyklus) [A.D. 1916] verliehen.“
Die Inschrift auf dem Revers beginnt mit drei Zeilen im Zentrum und fährt mit einem oben beginnenden im Uhrzeigersinn kreisförmig angeordneten Text fort: dmag-spyi che-/ba bka´-blon tsha-/rong-pa/ bod Zrgyal-khab tu phyi-rgyal dmag-rced-srol-gtod thub-pa´i sgyu-rcal la sgyangs-brtson snying-stobs bskyed-pa-´i dpa´-rtags „ Orden (dpa´-rtags) (für) den Oberbefehlshaber Kalön [bka´-blon = Mitglied des Ministerrates] Tsha-rong-pa, weil er dafür, dass man die ausländische militärische Ausbildung in den Staat Tibet einführen konnte, Geschicklichkeit und Mut bewiesen hat.“

   

Abbildung 9: Avers des durch den 13. Dalai Lama an den Oberbefehlshaber Dasang Dradül Tsharong (Zla-bzang dgra-´dul Tsha-rong) der tibetischen Armee verliehenen Ordens

 

Abbildung 10: Revers des durch den 13. Dalai Lama an den Oberbefehlshaber Dasang Dradül Tsharong (Zla-bzang dgra-´dul Tsha-rong) der tibetischen Armee verliehenen Ordens

6. Abbildung von Offizieren der tibetischen Armee aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts

Abbildung 11: Offiziere der tibetischen Armee mit Uniformen im Stil der britischen Armee
(1920er Jahre)

Nach Dundul Namgyal Tsarong (2000) sind folgende Offiziere (Namensschreibungen gemäß D. N. Tsharong) auf dieser Photographie zu sehen: Stehend (von links nach rechts): Dapon Salungpa, unbekannt, Sampho Palden Choewang, T. Tsering, Dapon Dingja Dorji Gyaltsen, Penpa Tsering und Phurpphu Dondup. In der 2. Reihe sitzend: Phangdong Letsen, Dasang Damdul Tsarong (der Oberbefehlshaber der tibetischen Armee), und  Dapon Nyelungpa. In der ersten Reihe sitzend: Dapon Tsogowa, Dapon Surkhang und Dapon Drumpa. .
Photographiert von Alexandra David-Néel, wahrscheinlich im Jahr 1924 (Quelle: Borin, Françoise: Le Tibet d´Alexandra David-Néel. Librairie Plon, Paris, 1979).
Laut D. N. Tsarong (2000) stammt die Photographie aus dem Jahr 1920

7. Literatur

Bell Charles: Tibet Past & Present. Indischer Nachdruck, Munshiram Manoharlal Publishers, New Delhi, 1990 (Erstausgabe: Clarendon Press, Oxford, 1924).
Bertsch, Wolfgang: “Tibetan Army Badges”. The Tibet Journal, vol. 26, no. 1, spring 2001, S. 35-72.
Bertsch, Wolfgang: “Medals from Tibet (1912-1937)”. Numismatic Digest. Indian Institute of Research in Numismatic Studies Publications, vol. 27-28, Anjaneri, 2003-2004.
Borin, Françoise: Le Tibet d´Alexandra David-Néel. Librairie Plon, Paris, 1979.
Dwang slob mda´zur und Spyi ´thus rgyal tshe rnam rgyal dbang ´dus (rtsom sgrig pa - Herausgeber): bod rgyal khab kyi chab srid dang ´brel ba´i dmag don lo rgyus (Political & Military History of Tibet. - Politische und militärische Geschichte der tibetischen Nation). 2 Bände, Dharamsala, 2003.
Goldstein, Melvyn C.: A History of Modern Tibet, 1913-1951. The Demise of the Lamaist State. Munshiram Manoharlal Publishers Pvt Ltd, New Delhi, 1993.
Pa-sangs Nor-bu: bod dmag skor gyi gnad don ´gar cung zad dpyad pa (A Preliminary Study of Former Tibetan Troops). China Tibetology, Issue 1, 1992, S. 3-33.
Shakya, Tsering: The Dragon in the Land of Snows. A History of Modern Tibet since 1947. Pimlico, London, 1999.
Takeuchi, Tsuguhito: „The Tibetan Military System and its Activities in Khotan to Lop-Nor“. In: Susan Whitfield (Herausgeberin): The Silk Road. Trade, Travel, War and Faith. Serindia Publications, Chicago, Ill., 2004, S. 50-56.
Tsarong, Dundul Namgyal: In the Service of his Country. The Biography of Dasang Damdul Tsarong Commander General of Tibet. Snow Lion Publications, Ithaca, New York, 2000.

Film über die moderne tibetische Armee (1939): http://www.dailymotion.com/video/x7ovl9_tibetan-army-1939_shortfilms

Autor: Wolfgang Bertsch, 2010, ergänzt 2011. Bildnachweise:Abb. 1:  A Portrait of Lost Tibet: Photographs By Ilya Tolstoy and Brooke Dolan; Rosemary Jones Tung; Holt, Rinehart and Winston, New York, 1980, Abb. 3: http://tibet.prm.ox.ac.uk/photo_1998.131.506.html , Abb. 4: http://tibet.prm.ox.ac.uk/photo_1998.131.509.1.html ,  Abb. 5, 7 und 8: Wolfgang Bertsch. Abb. 6: Karl Gabrisch. Veröffentlicht in Bertsch (2001) .Abb. 6 und 7: Tsarong, Dundul Namgyal: In the Service of his Country. The Biography of Dasang Damdul Tsarong Commander General of Tibet. Snow Lion Publications, Ithaca, New York, 2000. Auch abgebildet in Bertsch (2003-2004). Abb. 2: Ausschnitt aus http://www.bild.bundesarchiv.de/archives/barchpic/search/_1313142179/?search%5Bform%5D%5BSIGNATUR%5D=Bild+135-S-11-07-17, Abb. 11: Borin, Françoise: Le Tibet d´Alexandra David-Néel. Librairie Plon, Paris, 1979. Auch abgebildet in Tsarong (2000)