Tibet-Encyclopaedia

 

Ali Sher Khan (III) (Herrscher von Kartaksho bzw. Kharmang in Baltistan, Klein-Tibet)

Ali Sher Khan (III) herrschte in Kartaksho in den dreißiger und vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Er war der Schwiegersohn von Ahmad Shah, des letzten unabhängigen Herrschers von Skardu, der ganz Baltistan unterworfen hatte. Bei der Invasion des Dogra-Heerführers Zorawar Singh in Baltistan unterstützte er die Angreifer und trug so maßgeblich zur Niederlage Ahmad Shahs und dem endgültigen Verlust der Unabhängigkeit Baltistans bei. Ali Sher Khans (III) Aktivitäten wurden von dem neuen Oberherrn von Baltistan, Gulab Singh von Jammu, dadurch belohnt, dass ihm und seiner Familie ein besonders großes Gebiet als Einkommensquelle (Jagir) zur Verfügung gestellt wurde, welches bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Baltistan einen Sonderstatus innehatte.

Inhaltsverzeichnis

1. Quellen
2. Herkunft und Familienverhältnisse
3. Beginn der Herrschaft in Kartaksho (vor 1829), Flucht nach Ladakh und geheimes Bündnis mit Zorawar Sing (1835)
4. Rückkehr nach Kharmang und Begegnung mit Vigne (1835/36)
5. Unterstützung von Zorawar Singh bei der Eroberung von Baltistan (1839/1840)
6. Unterstützung von Zorawar Singh bei dessen Vormarsch nach Westtibet (1841)
7. Aktive Rolle an der Seite der Dogra bei der Rückeroberung von Ladakh und Baltistan (1842)
8. Belohnung durch Gulab Singh (1842)
9. Einsatz bei der Übernahme von Kaschmir durch Mahārāja Gulab Singh (1846)
10. Die Folgen
11. Literatur

1.Quellen

Ali Sher Khan (III) wird in Cunninghams (S. 32) Liste der Könige von Kartaksho bzw. Kharmang als 12. Herrscher aufgeführt. Er wird in zahlreichen Quellen im Zusammenhang mit dem Eroberungszug von Zorawar Singh nach Baltistan als die Person erwähnt, die durch Parteinahme gegen Ahmad Shah die Einnahme dieses Landes durch die Dogra-Truppen ermöglichte. Die wichtigste Quelle ist zweifellos sein eigener Lebensbericht, den er in persischer Sprache verfasst hatte. Hashmatullah Khan wurde ein Exemplar dieser „Autobiographie“, die offenkundig als eine Art Rechenschaftsbericht darstellt, von Raja Aman Ali Shah, einem Enkel Ali Sher Khans (III), zur Verfügung gestellt. Hashmatullah Khan veröffentlichte davon große Teile in Übersetzung (Hashmatullah Khan, S. 88-95). Vergleichen wir die Schilderungen von bestimmten Ereignissen in Ali Sher Khans Autobiographie mit Darstellungen der selben Geschehnisse in anderen Quellen, so kann Ali Sher Khans Bericht eine hohe Zuverlässigkeit attestiert werden. Dies wird besonders deutlich an der Schilderung der Ereignisse der Übernahme der Macht in Kaschmir durch Gulab Singh im Jahre 1846.

Des Weiteren publizierte Hashmatullah Khan (S. VI-VII) auch eine Genealogie der Herrscher von Kartaksho, welche für das 19. Jahrhundert sicherlich große Zuverlässigkeit besitzt.

2.Herkunft und Familienverhältnisse

Ali Sher Khan (III) wurde als Sohn des Raja von Kartaksho Mohammad Ali Khan und seiner 1. Ehefrau, einer Tochter von Ali Sher Khan (II) von Skardu, geboren. Seine Mutter war somit die Schwester von Ahmad Shah. Nach der Eheschließung mit Fiza Begum, die aus Kharmang stammte, heirate er Shah Jehan Begum, eine Tochter von Ahmad Shah, mit dem er somit in doppelter Hinsicht verwandt war. Ahmad Shah war sein Onkel und sein Schwiegervater (Hashmatullah Khan, S. 88 und S. VIf). Über das Geburtsjahr von Ali Sher Khan (III) ist nichts bekannt.

3. Beginn der Herrschaft in Kartaksho (vor 1829), Flucht nach Ladakh und geheimes Bündnis mit Zorawar Singh (1835)

Als Ali Sher Khan (III) die Herrschaft von Kartaksho übernahm, waren die Gebiete von Parkuta und Tolti schon als eigenständige Herrschaftsgebiete abgespalten. In Parkuta regierte Ghulam Shah, ein Bruder von Ahmad Shah und Tolti wurde von Ahmad Khan regiert, der ein Cousin von Ahmad Shah war (Wade, S.595f). Ali Sher Khans Machtantritt lag vor dem Jahr 1829, wird er doch in der von Wade im Jahre 1929 erstellten Liste der Herrscher der Teilgebiete von Baltistan erwähnt. Im Jahre 1834/35 muss es zu einem Zerwürfnis zwischen Ahmad Shah und Ali Sher Khan (III) gekommen sein. Jedenfalls berichtet Ali Sher Khan (III) selbst, dass Ahmad Shah veranlasst hatte, dass die vereinten Truppen von Ali Khan aus Rondu, Haidar Khan aus Shigar, Ghulam Khan aus Parkuta, Khuram Khan aus Kiris, Daulat Ali Khan aus Khaplu und Ahmad Khan aus Tolti gegen ihn ins Feld zogen. Ali Sher Khan (III) blieb zu diesem Zeitpunkt nichts anderes übrig, als 1835 nach Ladakh zu fliehen. Hier nahm er geheime Kontakte zu Zorawar Singh auf, der 1834 mit seinen Truppen in Purik einmarschiert war. Es kam 1835 zu einer persönlichen Begegnung mit Zorawar Singh, bei der Ali Sher Khan (III) dem Dogra-Feldherrn die Zusage machte, ihm im Falle eines Angriffs gegen Baltistan durch sein Land frei passieren zu lassen (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 88).

4. Rückkehr nach Kharmang und Begegnung mit Vigne (1835/36)

Diese Zusage setzte voraus, dass inzwischen Gespräche zwischen Ahmad Shah und mit seinem Schwiegersohn über dessen Rückkehr nach Kharmang stattgefunden hatten.Tatsächlich kehrte Ali Sher Khan (III) 1836 nach Kharmang zurück. Hier hat ihn Vigne auf einer seinen Reisen zwischen 1835 und 1838 getroffen (Vigne, S. 326). Vigne beschreibt Ali Sher Khan (III) als gutaussehenden, stämmigen jungen Mann, den er zwei- oder dreimal getroffen habe und der sich ihm gegenüber immer äußerst höflich und aufmerksam verhalten habe.

5. Unterstützung von Zorawar Singh bei der Eroberung von Baltistan (1839/1840)

   

Abbildung 1: Ahmad Shah von Skardu

 

Abbildung 2: Der Dogra-Heerführer Zorawar Singh

 Vier Jahre nach Ali Sher Khans (III) Rückkehr in seine Burg von Kharmang rüstete im November 1839 Zorawar Singh zum Krieg gegen Baltistan. Die Zahl der von ihm ins Feld geführten eigenen Soldaten wird mit 11.000 bis 15.000 angegeben. Diese Kerntruppe wurde noch ergänzt von etwa 10.000 Mann aus Ladakh und Purik. Die Armee rückte bis Chathatang (auch Cece Thang, Chechethang und Thetsa Thungo geschrieben), welches unweit von Marol auf der linken Seite des Indus gelegen ist (siehe Abbildung 3). Alle Brücken über den Indus waren zerstört und Ahmad Khans Soldaten erwarteten die Invasoren auf der rechten Seite dieses Flusses. Die Überquerung des Indus gelang an einer Stelle, wo der Fluss bis auf etwa sechs bis sieben Meter zugefroren war. Man legte mitten in der Nacht Baumstämme über die offene Stelle, die bis zum Morgengrauen bewirkten, dass der Fluss komplett zugefror. Die von den plötzlich am anderen Ufer auftauchenden Dogra überraschten Balti waren dadurch geschwächt, dass Ali Sher Khan (III) seine 1000 Mann zählende Truppe zurückgezogen hatte, so dass der Rest dem Ansturm der Dogras nicht mehr standhalten konnte. Ahmed Shahs Truppen ergriffen die Flucht, wobei sie ca. 200 Tote und hundert Verwundete auf dem Schlachtfeld zurücklassen mussten. (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 88f).

Abbildung 3: Die südliche Grenze von Kharmang mit den Orten Chathatang, Marol und Hamzigung, Schauplätze des Einfalls von Zorawar Singh nach Baltistan

Ali Sher Khan reiste dem anrückenden Zorawar Singh bis Hamzigund (auch Hamza Gand geschrieben) entgegen. Anschließend lud er ihn in seinen Palast nach Kharmang ein, wo er die gesamte Armee drei Tage lang bewirtete. Auf Veranlassung von Ali Sher Khan (III) erschienen die Könige Ghulam Shah und Ahmad Khan von Parkuta und Tolti und unterstellten sich Zorawar Singh. Fünf Tage danach erreichte die Dogra-Armee Skardu. Hier ergab sich die Nachricht, dass Shigar, Kiris, Khaplu und Chorbat sich Zorawar Singh unterworfen hatten. Ahmad Shah sah unter den geschilderten Umstände offenkundig seine Lage in der belagerten Burg Kharpocho als hoffnungslos an und übergab nach sieben Tagen die Festung an Zorawar Singh unter der von Ali Sher Khan (III) und Zorawar Singh erteilten Zusicherung, dass man ihm Unversehrtheit garantieren würde. Gleichwohl wurde Ahmad Shah an Händen und Füßen gefesselt zunächst eingekerkert. Das gesamte Arsenal der Festung Kharphocho mit 3000 Gewehren und 2000 Schwertern, große Mengen an Geld und andere Wertgegenstände fielen in die Hände von Zorowar Singh (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 89).

Da der Herrscher von Rondu Widerstand leistete, marschierte Ali Sher Khan (III) gegen Rondu vor, wobei er von einer separat vorrückenden Truppe von 1000 Dogra-Kriegern unterstützt wurde. Ali Khan, der Herrscher von Rondu, floh außer Landes. Ali Sher Khan finanzierte mit 5000 Rupien den Unterhalt seiner eigenen Truppe, die sich zur Unterstützung von Zorawar Singh in Skardu aufhielt (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 89f).

6. Unterstützung von Zorawar Singh bei dessen Vormarsch nach Westtibet (1841)

Als Zorawar Singh mit seinem Eroberungszug gegen West-Tibet begann, begleitete ihn Ali Sher Khan (III) zunächst dorthin, wurde dann aber nach Baltistan zurückgeschickt, um von dort aus den Nachschub zu organisieren. Nach der Niederlage der Dogras in Tibet und dem Tod von Zorawar Singh nahm Alis Sher Khan (III) weder an den militärischen Operationen zur Befreiung Ladakhs noch an der Beseitigung der Dogra-Herrschaft in Baltistan teil (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 90f).

7. Aktive Rolle an der Seite der Dogra bei der Rückeroberung von Ladakh und Baltistan (1842)

1842 marschierten neue Dogra-Truppen mit einer Stärke von 5000 Mann unter Dewan Hari Chand und Wesir Ratanu von Kaschmir aus in Dras ein und eroberten Ladakh zum zweiten Mal (Petech, S. 148f). Als die beiden Dogra-Heerführer in Dras ankamen, nahm Ali Sher Khan (III) sofort Kontakt zu ihnen auf. In der folgenden Auseinandersetzung mit Raja Mohammad Ali Shah kämpfen seine Leute auf der Seite der Dogra-Truppen (Hashmatullah Khan, Autobiographie, S. 91f). Ali Sher Khan (III) begleitete mit seinen Truppen Wesir Lakhpat Rai bei dem anschließenden Vormarsch nach Skardu und beteiligte sich an der blutigen Eroberung der Festung Kharphocho. Unter seiner Leitung wurden die Festnahme der flüchtenden Herrscher von Shigar und Khaplu, Haidar Khan und Daulat Ali Khan, bewerkstelligt. Ali Sher Khan (III) organisierte zudem die Versorgung der Dogra-Truppen mit Nahrungsmitteln und Munition. Seine Ausgaben hierfür beliefen sich auf 5000 Rupien(Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 92).

8. Belohnung durch Gulab Singh (1842)

Abbildung 4: Gulab Singh, ab 1846 Mahārāja von Jammu und Kaschmir  

 Nach dieser erfolgreichen Unterstützung der Dogra-Eroberungen von Baltistan sollte die Stunde der Belohnung kommen. Der Herrscher von Jammu Gulab Singh war 1842 nach Kaschmir gereist. Er schickte 4000 Soldaten nach Ladakh zur Unterstützung von Dewan Hari Chand, wobei diese Truppe zusätzlich von einer Schar von 6000 Zwangsarbeitern begleitet wurde, die Ausrüstung und Verpflegung transportierten (Mohammad –ud-Din Fouq, S. 577). Im September 1842 unterzeichnete Dewan Hari Chand im Namen Gulab Singhs in Leh einen Friedens-vertrag mit der Regierung von Lhasa, durch die der für die Dogras erfolgreiche Krieg in Ladakh endgültig beendet wurde (Petech, S. 151). Anschließend kehrte Dewan Hari Chand nach Kaschmir zurück, um Gulab Singh den endgültigen Sieg persönlich zu vermelden. Gleichzeitig hatte Gulab Singh seine neuen Verbündeten aufgefordert, vor ihm zu erscheinen. Zugleich wurde Ali Sher Khan (III) aufgefordert eine Person aus seinem Umkreis vorzuschlagen, die sich als ständiger Repräsentant am Hof von Gulab Singh aufhalten sollte. Ali Sher Khan (III) schlug hierfür seinen vertrauenswürdigen Minister Wesir Ghulam Hussain vor (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 92).

Als Ali Sher Khan die Aufforderung Gulab Singhs erreichte, versammelte er alle den Dogra gegenüber loyalen Rajas und Personen von Rang aus Baltistan und reiste mit ihnen von Skardu nach Kaschmir. Als er das nördlich von Shrinagar gelegene Gandarbal erreichte, stand dort für ihn ein Elefant bereit, auf dem er bis zum Hof von Gulab Singh transportiert wurde. Ali Sher Khan berichtet über seine Begegnung mit Gulab Singh (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 93):

„Ich erreichte den Hof auf diesem Tier, was das Ergebnis des Respekts war, welcher mir von meinem großen Meister entgegengebracht wurde. Mir wurde die Ehre erteilt, seine Füße küssen zu dürfen. Dadurch gewann ich Ansehen bei meinen Leuten. Ich wurde den wichtigen Beamten von Kaschmir vorgestellt.“

8. Kampagne gegen Gilgit (1842/43)

In den Jahren von 1841 bis 1843 wurde für einen Zeitraum von zwei Jahren und sieben Monaten Kaschmir von dem Gouverneur Sheik Ghulam Mohi-du Din verwaltet (Mohammad –ud-Din Fouq, S. 573-579). Ghulam Mohi-ud- Din hatte Gulab Singhs Armee bei der Rückeroberung von Ladakh und Baltistan mit Truppen zur Verstärkung, Waffen, Munition und Verpflegung unterstützt. Nach dem Sieg über Ladakh erreichte Ghulam Mohi-ud-Din die Nachricht, dass der Raja von Gilgit Karim Khan aus Gilgit geflohen war und ihn um Unterstützung bat. Ghulam Mohi-du Din sandte Nathu Shah mit einer Armee nach Gilgit, bat aber gleichzeitig Gulab Singh angesichts einer möglichen Bedrohung von Baltistan durch die Ereignisse im benachbarten Gilgit um Hilfe. Gulab Singh beorderte daraufhin Ali Sher Khan (III) und Wesir Lakhpat Rai zu sich und forderte sie auf, eine Truppe unter einem vertrauenswürdigen Heerführer nach Gilgit zu schicken. Ali Sher Khan (III) schlug vor, seinen Minister Wesir Ghulam Hussain mit dieser Aufgabe zu betrauen (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 93).

Kurz danach verließ Wesir Ghulam Hussain Skardu mit einer Armee von zweitausend Mann und erreichte noch in der gleichen Nacht Rondu, wo sich der alte Herrscher von Baltistan Ahmad Shah und sein Bruder Ghulam Shah mit ihren Familien aufhielten. Diese waren vor der Ankunft der Truppen aus Skardu geflohen und suchten Zuflucht in der Festung von Stak (Astak). Rondu wurde von Ghulam Hussains Truppen kampflos eingenommen. Von hier aus konnte er, verstärkt durch Krieger aus Rondu, weiter nach Gilgit vorrücken. Er erreichte die weiße Festung von Phokar, die er nach einigen Kämpfen erobern konnte. Unweit von Gilgit vereinigte sich seine Armee – sie war inzwischen auf eine Truppenstärke von 3.000 Mann angewachsen – mit den 3.000 Mann umfassenden Truppen von Nathu Shah aus Kaschmir. Der vorrückenden Armee standen nun die Krieger von Gohar Aman, des Herrschers von Gilgit, mit einer Stärke von 7.000 Mann gegenüber. Letztendlich wurde die Armee von Gohar Aman geschlagen und Ghulam Hussain kehrte siegreich nach Baltistan zurück (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 93f).

Nach diesem Sieg erteilte Gulab Singh die Erlaubnis, dass Ali Sher Khan (III) mit seinen Begleitern nach Baltistan zurückkehren durfte.

9. Einsatz bei der Übernahme von Kaschmir durch Mahārāja Gulab Singh (1846)

Am 16. März 1846 unterzeichnete Gulab Singh den mit den Briten geschlossenen Vertrag vom Amritsar, durch den ihm Kaschmir übereignet wurde und er zum Mahārāja von Jammu und Kaschmir avancierte. Durch diesen Vertrag war er nunmehr der Herrscher von Jammu, Kashmir, Hazara, Ladakh und Baltistan unter britischer Suzeränität. Sein Land war somit ein britisches Protektorat (Datta, S. 184f, Smith, S. 617f). Dabei gestaltete sich die Übernahme der Macht in Kashmir als schwierig. Der in Kaschmir residierende, von der Regierung des Panjab aus Lahore eingesetzte Gouverneur Sheik Imam-ud-Din war nämlich keineswegs bereit, die Macht in Kaschmir an Gulab Singh zu übergeben.

Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Amritsar sandte Gulab Singh Wesir Lakhpat Rai und Wesir Ratanu, die beide eine bedeutende Rolle bei der zweiten Eroberung von Ladakh und Baltistan gespielt hatten, nach Kaschmir, um dort die Macht zu übernehmen (Mohammad –ud-Din Fouq, S. 591). Gulab Singh musste geahnt oder gewusst haben, dass sich die Übernahme der Macht in Kaschmir nicht reibungslos vollziehen würde. Parallel zu der Entsendung von Truppen nach Kaschmir sandte er persönlich einen Befehl an Ali Sher Khan (III) nach Baltistan, sich mit seinen Truppen in Shrinagar einzufinden. Ali Sher Khan (III) schickte sofort zwanzig Musketiere mit seinem Minister Wesir Ghulam Hussain als Vorhut nach Kaschmir. Gleichzeitig forderte er die übrigen Rajas Baltistans auf, sich mit ihren Truppen bei ihm einzufinden. Diesem Ruf folgten alle Rajas außer Daulat Ali Khan von Khaplu. Ali Sher Khan (III) zog mit seinen eigenen Truppen und unter Begleitung der übrigen Rajas von Baltistan nach Kaschmir. Er erreichte Shrinagar innerhalb von 15 Tagen und nahm sofort Kontakt zu Wesir Lakhpat Rai auf. Die Truppen aus Baltistan logierten in Sheigh Bagh. Zwanzig Tage nach Ali Sher Khans Ankunft erreichte Wesir Ratanu an der Spitze von 10.000 Soldaten ebenfalls Sheigh Bagh (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 94f).

Tatsächlich war nun der regierende Gouverneur von Kaschmir Sheik Imam-ud Din, der über eine eigene Armee verfügte, keineswegs bereit, die Verwaltung Kaschmirs an Gulab Singhs Leute zu übergeben. Aus Lahore hatten ihn widersprechende Anweisungen hierzu erreicht. Folgen wir der Darstellung von Mohammad –ud-Din Fouq (S. 591), so kam es zu einem Streit zwischen einem Soldaten der Truppen von Imam-du Din und Soldaten der Dogra-Armee, in dessen Verlauf besagter Soldat getötet wurde. Dies führte zum Ausbruch von Kämpfen zwischen beiden Armeen, die die ganze Nacht über andauerten. Wesir Lakhpat Rai wurde bei diesen Kämpfen getötet, während sich Wesir Ratanu in die Festung Hari Parbat retten konnte. 5.000 Soldaten der Dogra nahmen Zuflucht in den Suliaman Bergen. Am anderen Morgen verließ Skeik Imam-ud Din auf einem Elefanten reitend Shrinagar und rückte an der Spitze seiner Soldaten gegen die Suliaman Berge vor.

Nach dem Bericht von Ali Sher Khan (III) war der Angriff der Dogra-Truppen geplant. Er selbst sollte mit allen Truppen aus Baltistan von der Festung Kohmaran aus angreifen. Die Folge war ein großes Blutvergießen und Kämpfe, die sich bis in die Morgenstunden des folgenden Tages hinzogen. Dabei wurde Wesir Lakhpat Rai getötet. Die Festung, in der die Truppen aus Baltistan festsaßen, wurde anschließend von Sheik Imam-du Din belagert. Es gelang Wesir Ratanu mit 4000 Soldaten sich zu den Belagerten durchzukämpfen und somit deren Stellung zu verstärken. Durch einen stetigen Zufluss an Verstärkung wuchs die Stärke von Sheik Imam-du Dins Armee auf 30.000 Soldaten an. Die Belagerung der Dogra-Truppen durch Sheik Imam-ud Din dauerte drei Monate. Danach, so berichtete Ali Sher Khan (III), erreichte die Belagerer ein Vertreter des Mahārāja des Panjab Dilip Singh, der anordnete, die Belagerung zu beenden (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 95).

Es ist anzunehmen, dass Ali Sher Khan (III) die wahren Ereignisse, die zur Aufgabe der Belagerung durch Imam-du Din führten, gar nicht erfahren konnte. Mit dem Vertrag von Amritsar war Sir Henry Lawrence zum „Resident“, also zum Vertreter der britischen Vormacht in Jammu und Kaschmir, bestellt worden. Als Gulab Singh der britischen Administration über die Schwierigkeiten bei der Machtübernahme in Kaschmir berichtete, rückte eine britische Armee unter Führung von Sir Lawrence und Lieutenant Edward sowie eine Sikh Armee unter Führung von Sadar nach Kaschmir vor. Dies führte unmittelbar zum Einlenken von Sheik Imam-od Din (Mohammad –ud-Din Fouq, S. 591f).

Die Ereignisse nach dem Ende der Belagerung beschrieb Ali Sher Khan selbst wie folgt (Autobiographie in Hashmatullah Khan, S. 95):

„Nachdem die Belagerung aufgehoben worden war, stellten wir uns alle vor dem großen Meister, dem Sarkar, auf. Wesir Ratanu schilderte im Detail das Ausmaß meiner Verdienste. Der Sarkar war sehr großzügig und schenkte mir ein Paar Armreifen von edlem Metall, eine schöne Steppdecke, ein Paar farbige Wollschals, Juwelen aus Gold usw. Er gewährte mir auch ein Landgut (Jagir) in Kaschmir, das einen Wert von fünfhundert Rupien hatte. Danach kehrten wir alle in unser Heimatland zurück.“

10. Die Folgen

Hashmatullah Khans Übersetzung der Autobiographie Ali Sher Khans (III) enthält keinerlei Bewertung der Taten dieses Mannes. Dies dürfte Hashmatullah Khan als obersten Vertreter des Mahārāja von Jammu und Kaschmir kaum möglich gewesen sein. Gleichwohl ist aber gerade dieses Schweigen und die nachfolgende Darstellung (S. 95f) der Nachfahren von Ali Sher Khan ein Hinweis darauf, wie Hasmatullah Khan diesen Mann einschätzte:

„Jafar Ali Khan folgte auf seinen Vater Ali Sher Khan nach dessen Tod. Nach Jafar Ali Khan, nahm sein Sohn Amanullah Shah seinen Platz ein. Amanullah Shahs Sohn Ali Sher Khan wurde Raja nach dem Hinscheiden seines Vaters. Das Landgut (Jagir), welches im Besitz dieser Leute ist, ist im Hinblick auf Größe und Einkommen das größte in Baltistan. Wegen einer Herrscherverfügung, die Mahārāja Gulab Singh ausgefertigt hatte, darf man sich in das interne Management und die Verwaltung von außen nicht einmischen. Die Verwaltung des gegenwärtigen Raja wird gelobt.“

Abschließend seien hier die Berichte von zwei Personen angeführt, die Ali Sher Khan persönlich getroffen haben. Der erste war, wie oben schon erwähnt, Godfrey Thomas Vigne, der den Herrscher von Kharmang noch vor dem Einfall der Dogra an dessen Residenz begegnete. Vigne schrieb (S. 326) hierüber: „Ali Sher Khan, the Rajah of Katakchung, is a young man, good looking and very stout, a son-in-law and nephew of Ahmed Shah. He has two or three times received me, and always with the greatest courtesy and attention. We sat down to eat grapes and apricots under the trees of his garden, planted round a platform overhanging the Indus, and I was afterwards told that the ladies of the Zunana were looking at me, the Feringhi (or as they call Europeans in Tibet, the Felingpa), from behind the curtains of their dwelling.”
Thomas Thomson erreichte Kharmang im Dezember 1847. Er schrieb über dieses Ereignis (S. 231) wie folgt: „After regaining the bank of the river, the road was for five or six miles nearly level, passing opposite the village Kartash [= Kharmang], with a fort on a hill. Here still resides the Rajah Ali Sher Khan, the most intelligent of the princes of Balti; though now past the prime of life, he still retains the intelligence and kind hospitality for which he is so deservedly praised by Vigne.”

11. Literatur

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Alexander Cunningham: Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries. New Delhi 1977 (reprint)
C. L. Datta: Ladakh and Western Himalayan Politics: 1819-1848. The Dogra Conquest of Ladakh, Baltistan and West Tibet and Relations of other Powers. Delhi 1973.
Mohammad –ud-Din Fouq: [Mukamal Tarikh-i-Kashmir] A Complete History of Kashmir. The Ancient Hindu Kings; The Muslim Kings; The Khalsa Kings. Translated by R. K. Bharti. Srinagar 2009
A.H. Francke: Antiquities of Indian Tibet. Part (Volume) II. The Chronicles of Ladakh and Minor Chronicles. Texts and Translations, with Notes and Maps. (Reprint) New Delhi 1972
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht
Luciano Petech: The Kingdom of Ladakh. C. 950-1842 A. D. Roma 1977
Vincent A. Smith: The Oxford History of India. Third Edition. Edited by Percival Spear. Oxford 1958
Thomas Thomson: Western Himalaya and Tibet; A Narrative of a Journey through the Mountains of Northern India during the Years 1847-8. London 1852
Godfrey Thomas Vigne: Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo. The Countries Adjoining the Mountain-Course of the Indus and the Himalaya North of the Punjab. Volume II, London 2005. Nachdruck der Ausgabe von 1842

Autor: Dieter Schuh. 2010. Bildnachweise: Abbildung 1: Vigne, Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo; Abbildung 2: Wikimedia Commons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:ZorawarSingh.jpg ; Abbildung 3: Ausschnitt aus India and Pakistan 1:250.000. Ni-43-03; Abbildung 4: Wikipedia.org http://en.wikipedia.org/wiki/File:Gulab_Singh_Dogra_of_Kashmir.jpg

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