Tibet-Encyclopaedia

 

 Tibetische Längenmaße

Bei den Längenmaßen wurde in Tibet bis zum Jahre 1960 zwischen Maßeinheiten, deren Größen anhand eines festen Messstabes festgelegt waren, die also eine festgelegte absolute Größe hatten, und Proportionalmaßen sowie Bogen- bzw. Winkelmaßen unterschieden.

Hier werden im folgenden nur Längenmaße mit festgelegten Maßgrößen behandelt.

Ansonsten siehe: Proportionalmaße und Winkelmaße

Inhaltsverzeichnis

1. Längenmaße des alltäglichen Lebens 
2. Längenmaße des Kālacakratantra
3. Literatur

1. Längenmaße des alltäglichen Lebens

Die kleinste, im tibetischen Wirtschaftsleben praktisch verwendete Längeneinheit war das sor-mo („Fingerbreite“), welche der angenommenen Breite eines Fingers entsprach. 12 sor-mo bilden ein mtho („Spanne“, in Tibet Spannweite zwischen Zeigefinger und Daumen). 2 mtho entsprechen einem khru (Elle) und 4 khru bilden ein rang 'dom bzw. ein 'dom (Klafter).

Zu diesem Maßsystem ist uns auch ein entsprechender Messstab überliefert, der die Länge von 182 cm besitzt.. Der Stab ist durch umlaufende Einkerbungen in 8 gleich große Teile geteilt. Das letzte dieser 8 Teile weist wiederum eine Unterteilung in 12 Teile auf, die von 1 bis 12 fortlaufend nummeriert sind. Hierbei handelt es sich um die Maßeinheit sor-mo.

Tibetischer Messstab: Länge 182 cm.

Anhand der Länge des Messstabes ergibt sich für einen Klafter ('dom) die Größe 182 cm. Die Elle (khru) misst somit 45,5 cm. Eine Spanne (mtho) entspricht 22,75 cm und eine Fingerbreite (sor-mo) ist aufgerundet 1,896 cm groß. Aufgrund der Beschaffenheit dieses Messstabes ist davon auszugehen, dass das Messinstrument nicht als Lineal zum Zeichnen von Linien verwendet wurde.

Es ist anzunehmen, dass die absolute Größe dieser Längeneinheiten in den unterschiedlichen Landesteilen Tibets verschieden war.

L.A. Wadell (S. 354) erwähnt noch folgende Einheiten:

chag-gang gi tshad  = 4 Fingerbreit (Breite einer Faust).
mdzub-gang gi tshad = 5 Fingerbreit (entspricht der Länge des ausgestreckten Zeigefingers).

Bei Goldstein, The New Tibetan-English Dictionary of Modern Tibetan, Berkely and Los Angeles, 2001, p. 352 und 905 sind diese Einheiten wohl falsch definiert:
p. 352: chag-gang = a measuremnt unit equal to the width of four fingers.
p. 905: mdzub-gang = a measure consisting of the distance on the second finger from the tip to the first joint.

2. Längenmaße des Kālacakratantra

In dem Längenmaßsystem, welches durch das Kālacakrantra aus Indien nach Tibet überliefert wurde, wird die kleinste Einheit mit sehr feiner Staub angegeben (phra-rab rdul; Sanskrit: sūkṣma), welches die Größe von 1:264144 einer Fingerbreite (sor-mo) hat. Dies entspricht circa 0,000072 Millimeter. Die größte Einheit wird mit dpag-tshad (Sanskrit: yojana) bezeichnet. Eine solche dpag-tshad umfasst 32.000 Ellen, also circa 14.56 km.

Praktische Verwendung fand dieses Maßsystem in Tibet nur bei der Beschreibung der Größe des Aufbaus der Welt, wobei hier nur die Maßeinheit dpag-tshad von Bedeutung war.

Tabelle der Maßeinheiten: 

Umrechnungsfaktor zur nächst höheren EinheitBezeichnung (Tibetisch)Bezeichnung (Sanskrit)Bedeutung Ungefähre Länge 
     
8phra-rab rdulsūkṣma sehr feiner Staub 0,000072 Millimeter
8phra-moaṇufeiner (Staub) 0,000072 Millimeter
8skra yi rtse-movālāgraHaarspitze0,0046 Millimeter
8ske-tsherājiSenfkorn0,037 Millimeter
8shigyūkā Laus 0,296 Millimeter

nasyavaGerstenkorn2.368 Millimeter 
24 sor-mo aṅgulaFingerbreite1,896 Zentimeter
khru hastaElle 45,5 Zentimeter 
2000gzhudhanusBogenlänge 1,82 Meter
rgyang-gragskrośaRufweite 3,640 Kilometer 
 dpag-tshadyojana                               14,56 Kilometer
     
Umrechnungsfaktor zur nächst höheren Einheit  Bezeichnung (Tibetisch) Bezeichnung (Sanskrit) Bedeutung Ungefähre Länge  

Literatur:

Winfried Petri: Indo-tibetische Astronomie. Habilitationsschrift zur Erlangung der venia legendi für das Fach Geschichte der Naturwissenschaften an der Hohen Naturwissenschaftlichen Fakultät der Ludwig Maximilians Universität zu München. München 1966
Dieter Schuh: Studien zur Geschichte der Mathematik und Astronomie in Tibet, Teil 1, Elementare Arithmetik. Zentralasiatische Studien des Seminars für Sprach- und Kulturwissenschaft Zentralasiens der Universität Bonn, 4, 1970, S. 81-181
L.Austine Wadell: Lhasa and its Mysteries. With a Record of the Expedition of 1903-1904, Reprint, New Delhi, 1975 (first published in 1905)

Autor: Dieter Schuh, 2010. Ergänzt durch Wolgang Bertsch, 2011. Bildnachweis: Precious Deposits, Vol. Four, Beijing 2000, S.272