Tibet-Encyclopaedia

 

Abbildung 1: Blick auf Balghar von der zerstörten Bergfestung. Der alte Ortskern befindet sich links. Rechts im Hintergrund sieht man als schmales Band den Thalle-Fluss. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Daghoni. Staubwolken fegen  bei heftigem Wind über die Oase (Oktober 2007)

Balghar (Baltistan, Klein-Tibet)

Balghar (auch Balagar, Baragar, Blagar, Braghar und Bragar genannt, Tibetisch: Brag-dkar „Weißer Felsen“) ist eine Ortschaft bzw. Oase in Baltistan, die am Zusammenfluss des Thalle-Flusses mit dem Shayok am westlichen (rechten) Ufer des Thalle(Thalay)-Flusses liegt. Balghar liegt östlich von Kuru und nordwestlich von Khaplu und ist über eine Brücke über den Thalle direkt von dem ebenfalls am rechten Ufer des Shayok liegenden Daghoni leicht zu erreichen. Der Ort gehört heute zum Ghangche-Distrikt von Baltistan und lag im 17. und 18. Jahrhundert im Einflussbereich des Königreiches Khaplu. Durch Balghar führte die alte Verbindungsstrasse von Skardu und Shigar nach Khaplu am rechten Ufer des Shayok. Der Ort und war deshalb bis 1840 als Durchgangsort für Truppenbewegungen häufig von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen Baltistan und Khaplu betroffen. Balghar besaß an seinem westlichen Ende eine Bergfestung, die aber völlig zerstört ist. Heute präsentiert sich Balghar dem Besucher als ein malerisches Dorf mit einer ausschließlich agrarischen Infrastruktur.

Abbildung 2: Lage von Balghar, auf der Karte als Bragar verzeichnet, am Zusammenfluss von Thalle und Shayok. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik

 Inhaltsverzeichnis

1. Allgemeines
2. Zur Geschichte von Balghar und seiner zerstörten Burg Snazar
3. Alter Ortsteil, Khanqa-Gebetshalle und Astana-Grabmonument
4. Literatur

Abbildung 3: Brücke über den Thalle-Fluss zwischen Daghoni und Balghar (Oktober 2007)

 1. Allgemeines

Balghar wurde zum ersten Mal mit der Bezeichung Blagar auf der im Jahre 1842 von John Walter nach den Angaben von Godfrey Thomas Vigne im Auftrag der East India Company erstellten Karte „Kashmir; With its Passes; Ladak & Little Tibet, The Mountain Course of the Indus; and the Alpine Pajab generally“ aufgeführt. Die nächsten Erwähnungen dieses Ortes stammen von Thomson (S. 213: Braghar) und von Knight (S. 260f: Bragar). Der Letzgenannte landete hier von Khaplu aus kommend 1891 mit dem Zak, einem von aufgeblasenen Tierbälgen getragenen Floß.

Abbildung 4: Spaziergang durch die herbstlichen Felder von Balghar (Oktober 2007)

Balghar und das fruchtbare Tal des Thalle-Flusses  gehörten im 17. und 18. Jahrhundert zum Einflussbereich des Königreiches Khaplu. Die Einwohnerzahl von Balghar betrug im Jahre 1951 2415 Personen. Die Einwohnerzahl wird für das Jahr 1961 mit 2459 Personen angegeben (Afridi, S. 274). Heute dürfte die Zahl der Einwohner wesentlich größer sein. Balghar hat heute mehrere Schulen, die von Jungen und Mädchen besucht werden. Eine wichtige landwirtschaftliche Nutzung der Böden in Balghar, Daghoni und den anderen Dörfern am Talle-Fluss ist der Anbau von Kartoffeln, die in großen Mengen nach Islamabad und anderen Orten Pakistans verkauft werden.

   

Abbildung 5: Riesige Kartoffelsäcke werden  an der Brücke über den Shayok nach Balghar und Daghoni für ihren Abtransport in die pakistanische Tiefebene verladen. Da die großen Lastkraftwagen die Brücke nicht befahren können, werden die Kartoffelsäcke auf den Anhängern kleiner Traktoren herbeigeschafft (Oktober 2007) 

 

Abbildung 6: Die Brücke nach Daghoni und Balghar über den Shayok. Im Hintergrund Säcke mit Kartoffeln, die auf der linken Seite des Shayok für ihren Abtransport gelagert werden (Oktober 2007) 

 2. Zur Geschichte von Balghar und seiner zerstörten Burg Rama in Snazar

Balghar verdankt seiner strategisch weniger wichtigen Lage, dass es von Kriegen nicht so stark heimgesucht wurde wie Kuru und Kiris. Die wichtigere Verteidigungslinie von Khaplu lag in dem inmittelbar östlich an Daghoni angrenzenden Karku, dass mit seiner Festung in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts heftig umkämpft war.

Mein Besuch in Balghar im Jahre 2007 galt der Suche nach dem in ladakhischen Urkunden beschriebenen Herrschersitz (rgyal-sa) Rama bei einer als Snazar bezeichneten Örtlichkeit. In einer im Jahre 1698 ausgefertigten Urkunde wird von dem Vordringen ladakhischer Truppen zu diesem Ort berichtet. Die auf Abbildung 2 wiedergegebene Karte verzeichnet einen Ort Braga  (=Balghar) Rama unmittelbar westlich von Balghar (Bragar), so daß die hier genannte, als Herrschersitz dienende Burg nur westlich an Balghar angrenzen konnte. Eine weitere ladakhische Urkunde berichtet von ladakhischen Truppen, die im Jahre 1815 von Khaplu über Brag (= Bara der obigen Karte) nach Snazar vorrückten, um anschließend über die Weidegebiete von Kuru den Ort Kiris zu erreichen.

Abbildung 7: Die Oase Balghar und der gewaltige Berggrad, an dessen rechten, unteren Ende sich die alte Königsresidenz Rama befand (Oktober 2007)

Tatsächlich fand ich mit Hilfe von Ulam Mohammad aus Balghar im unteren Teil eines steil abfallenden Berggrades, der westlich an Balghar angrenzt (siehe Abbildungen 8 und 9), die Trümmerreste eines Gebäudes, welches nach der Meinung der Bewohner von Balghar die Residenz eines Königs gewesen ist. Die lokale Bezeichnung ist Skam Khar, also Skam-Burg. Nach Ulam Mohammad wurde in alten Zeiten diese Burg dadurch mit Wasser versorgt, dass man in Röhren, die bis zum Talboden reichten, das Wasser mit Wassereimern hochzog.

   

Abbildung 8: Lage der Königsburg über der Oase von  Balghar (Oktober 2007)

 

Abbildung 9: Reste der Königsburg Rama. Links der Informant Ulam Mohammad, rechts mein Fahrer Amin Khan aus Hunza (Oktober 2007)

 Im Jahre 1785 wurde Balghar unmittelbar in den Strudel der immer wiederkehrenden Kriege zwischen dem Westen und dem Osten Baltistans hineingezogen. Die vereinigten Armeen von Shigar und Skardu begannen einen erneuten Krieg gegen Khaplu. Sie besetzten die Burgen von Kiris und Kuru, konfiszierten dort alle Waffen und errichteten in Balghar eine Festung. Mohammad Ali Khan, der Herrscher von Khaplu, forderte Truppenhilfe aus Ladakh an. In Daghoni kam es zu einer großen Schlacht zwischen den Truppen aus Ladakh und den Kriegern aus Skardu und Shigar. Die Truppen aus Ladakh waren siegreich, nahmen 80 Kämpfer aus Skardu und Shigar samt ihrer militärischen Ausrüstung gefangen und eroberten die neuerrichte Festung von Balghar.

3. Alter Ortsteil, Khanqa-Gebetshalle und Astana-Grabmonument

Wie bei vielen Dörfern in Baltistan ist die Mehrzahl der Häuser von Balghar in aufgelockerter Bauweise über die Oase verteilt. Gleichwohl findet sich auch hier bei einem kleinen Ortskern ein sehr großer Dorfplatz mit einigen Geschäften, die aber bei meinem Aufenthalt geschlossen waren, was möglicherweise dem Ramadan geschuldet war.

   

Abbildung 10: Dorfplatz von Balghar (Oktober 2007)

 

Abbildung 11: Neue Besucher werden aufmerksam beobachtet (Oktober 2007)

Unweit des Dorfplatzes befindet sich eine im Jahre 1982 renovierte Khanqa-Gebetshalle, die nach Auskunft von Ulam Mohammad mehr als 600 Jahre alt sein soll. Diese Altersbestimmung dürfte historisch nicht haltbar sein, sind doch die großen Khanqa-Hallen in Khaplu und Kiris wesentlich jünger. In der Nähe dieser Khanqa-Gebetshalle stößt man auf einen sehr einfache, neu errichteten Astana-Grabbau des Heiligen Sayyed Ibrahim, der zur Zeit der Errichtung des Khanqa gelebt haben soll.

Abbildung 12: Die große Khanqa-Gebetshalle von Balghar (Oktober 2007)

 

Abbildung 13: Südseite der Khanqa-Gebetshalle von Balghar (Oktober 2007)

 

   

Abbildung 14: Neuerrichteter Astana für das Grab des Heiligen Sayyed Ibrahim in Balghar (Oktober 2007)

 

Abbildung 15: Grab des Heiligen Sayyed Ibrahim in Balghar (Oktober 2007)

 4. Literatur

E. F. Knight: Where three Empires Meet. A Narrative of Recent Travel in Kashmir, Western Tibet, Gilgit, and the Adjoining Countries. London 1893
Dieter Schuh: Herrscherurkunden und Privaturkunden aus Westtibet (Ladakh), Halle 2008 (= Monumenta Tibetica Historica, Abteilung III. Diplomata, Epistolae et Leges, Band 11)
Dieter Schuh: Die Herrscher von Baltistan (Klein-Tibet) im Spiegel von Herrscherurkunden aus Ladakh. In: Chomolangma, Demawend und Kasbek. Festschrift für Roland Bielmeier zu seinem 65. Geburtstag. Band 1: Chomolangma, Halle 2008, S. 165-225 Thomas Thomson: Western Himalaya and Tibet; A Narrative of a Journey through the Mountains of Northern India during the Years 1847-8. London 1852
Godfrey Thomas Vigne: Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo. The Countries Adjoining the Mountain-Course of the Indus and the Himalaya North of the Punjab. Volume II, London 2005. Nachdruck der Ausgabe von 1842

Autor: Dieter Schuh, 2010. Landkartennachweis: Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik. Alle anderen Abbildungen von Dieter Schuh.

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