Tibet-Encyclopaedia

 

 Abbildung 1: Die große Matam Serai-Gedenkhalle von Stak mit dem zweistufigen Dachaufbau. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Matam Serai-Gedenkhallen in Baltistan

Mit Matam Serai, ansonsten auch Imambarga oder Hussainia genannt, bezeichnet man spezielle schiitische Versammlungshallen in Baltistan, die insbesondere für Feiern zum Gedenken an den Tod von Imam Hussein errichtet wurden. Daneben werden diese Hallen auch für Predigten und Gedenkfeiern für die Verstorbenen genutzt. Matam Serais sind als besonderer Bautyp Baltistans generell größer als die traditionellen Moscheen und kleiner als die großen Khanqa-Gebetshallen. Die Wände sind fensterlos und weisen gelegentlich kleinere Lüftungsöffnungen auf. Belichtet und belüftet werden Matam Serais hauptsächlich durch teilweise recht große ein- und zweistufigen Aufbauten der Flachdächer, deren Seitenwände traditionell offen waren. Nach A. H. Dani (S. 54) sind Matam Serais im Norden Pakistans nur in Baltistan vorzufinden. Matam Serais trifft man heute noch in Baltistan als recht gut erhaltene Baudenkmäler an mehreren Orten in unsaniertem Zustand an. Ergänzend sei hier auf die Matam Serais von Purig als Vergleichsmaterial verwiesen.

Inhaltsverzeichnis

1. Forschungsgeschichte
2. Matam Serais von Stak
a) Kleine Matam Serai am Dorfplatz von Stak
b) Die große Matam Serai-Gedenkhalle von Stak
3. Matam Serai von Kuardo
4. Matam Serai von Gol
5. Matam Serai von Shigri
6. Literatur

1. Forschungsgeschichte

Max Klimburg beschreibt in seiner Untersuchung über die traditionelle Kunst und Architektur Baltistans die dort vorzufindenden Monumentalbauten wie folgt (S. 151): „The monumental building repertory consists of the large structures of the khanqah dominating many of the settlements, the mosques (masjids), the tombs of the saints (astanas), the congregation halls for the commemoration of the death of Husein (matamsarais or imambarhas or huseiniyes), and the forts/palaces (khars) of the different rajas.” In dieser sehr lesenswerten Untersuchung äußert sich Klimburg aber zu dem Bautyp der Matam Serais nicht weiter. Der einzige Forscher, der meines Wissens zwei dieser Gebäude näher beschrieben hat, war A. H. Dani. Dani beschrieb (S. 124) die entsprechende Halle von „Gambah Skardu“ (Unter-Skardu, d.i. der Westteil des Ortes) als quadratische Halle, deren Belichtung und Belüftung einzig und allein durch den stufenförmigen Dachaufbau des Flachdaches gewährleistete wurde. Photographische Dokumentationen solcher Gedenkhallen wurden bisher noch nicht veröffentlicht.

2. Matam Serais von Stak

a) Kleine Matam Serai am Dorfplatz von Stak 

Stak ist die Bezeichnung eines Nebenflusses (Nullah) des Indus, des zugehörigen Tales und des Hauptortes dieses Tales im Westen des ehemaligen Königreiches Rondu. Eine kleine Matam Serai-Gedenkhalle (Abb. 2-5) mit quadratischem Grundriss findet sich am Dorfplatz des Kharkhor („Bezirk der Burg“) genannten Ortsteils, der sich in westlicher Richtung an die Ruinen der alten Festung von Stak anschließt. Wie viele alte Wohnhäuser sind die Wände dieser Matam Sarai in der ortsüblichen Fachwerkbauweise errichtet. Die Seitenwände des einstufigen Dachaufbaus besitzen keine Glasfenster. Das Dach wird von den Seitenwänden der Halle und von einer einzigen Säule getragen. Der Haupteingang befindet sich auf der Ostseite und die Gebetsnische (Mihrab), wie allgemein in Baltistan üblich, in der Mitte der Westseite. Auf der Süd- und Nordseite finden sich auf einem steinernen, ca. 80 cm hohen Sockel mit Stoff behangene, durchbrochene hölzerne Abschirmwände zur Separierung des Aufenthaltsortes von Frauen. Diese Bereiche sind durch eigene Türen von außen zugänglich. Südlich an diese Matam Serai schließt sich eine kleine Moschee an, die für die täglichen Gebete benutzt wird.

Abbildung 2: Matam Serai am Dorfplatz von Stak. Links sieht man den Anbau einer kleinen Moschee. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 3: Innenraum der kleinen Matam Serai am Dorfplatz von Stak. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 4: Stützkonstruktion und Deckengestaltung der Matam Serai am Dorfplatz von Stak. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

 Abbildung 5: Der Haupteingang der Matam Serai am Dorfplatz von Stak (Mai 2012)

Abbildung 6: Angebaute kleine Moschee an der Matam Serai des Dorfplatzes von Stak (Mai 2012)

b) Die große Matam Serai-Gedenkhalle von Stak

Die nördlich des Dorfplatzes am Rande von Feldern gelegene große Matam Serai von Stag (Abb. 1) weicht in ihrer Grundstruktur von der kleineren Halle nur wenig ab. Anstelle von einer Säule findet man hier vier vor und der stufenförmige Dachaufbau ist doppelstöckig. Außerdem wurden die Seitenöffnungen des zweistufigen Dachaufbaus mit Glasfenstern versehen.

 Abbildung 6a: Die große Matam Serai-Gedenkhalle von Stak (Mai 2012)

 Abbildung 7: Innenraum der großen Matam Serai von Stak. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 8. Deckengestaltung der großen Matam Serai von Stak.(Mai 2012)

Abbildung 9: Dachaufbau der großen Matam Serai von Stak. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

3. Matam Serai von Kuardo

Kuardo liegt am rechten Ufer des Indus unmittelbar westlich der Mündung des Shigar-Flusses in den Indus und direkt gegenüber von Skardu. Historisch gehörte das Dorf zum Königreich Skardu. Auch heute noch ist der Ort dem ehemaligen Könighaus von Skardu unterstellt und alle Bauern des Ortes sind Pächter der Königsfamilie. Eine alte, kleine Matam Serai-Halle wurde am südlichen Ortsrand von Kuardo erbaut (Abbildungen 10 - 18). Neben der Matam Serai befindet sich eine in etwa gleichgroße, völlig neuerrichtete Moschee. Die Matam Serai von Kuardo besitzt nur einen einstufigen Dachaufbau. Das Dach wird von vier Säulen getragen. Die Plätze für Frauen sind durch durchbrochene hölzerne Abschirmwände separiert. Das Gebäude weist auf der Ostseite eine Veranda auf.

Abbildung 10: Matam Serai von Kuardo (links) und die neugebaute Moschee (rechts). Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 11: Ost- und Haupteingangsseite der Matam Serai von Kuardo (Mai 2012)

Abbildung 12: Südseite der Matam Serai von Kuardo. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 13: Dachaufbau der Matam Serai von Kuardo: Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 14: Dachaufbau der Matam Serai von Kuardo: Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abbildung 15: Blick vom Flur in den Innenraum der Matam Serai von Kuardo: Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 16: Innenraum der Matam Serai von Kuardo: Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012) 

Abbildung 17: Abschirmwände für die Aufenthaltsorte von Frauen in der Matam Serai von Kuardo: Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

Abbildung 18: Kapitell einer der vier Säulen der Matam Serai von Kuardo: Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012) 

4. Matam Serai von Gol

Gol liegt westlich des Zusammenflusses des Indus und des Shayok. In alter Zeit war Gol eine bedeutende Zwischenstation sowohl auf dem Weg von Khaplu nach Skardu wie auch auf dem Handelsweg von Skardu nach Kharmang. Eines der wenigen alten, erhaltenen religiösen Bauwerke in Gol ist die große Matam Serai-Gedenkhalle. Sie besitzt einen zweistufigen Dachaufbau. Die Öffnungen der ersten Stufe dieses Dachaufbaus sind hermetisch abgeschlossen, so dass Licht nur über die zweite Stufe des Dachaufbaus in das Innere der Halle dringt. In die Seitenöffnungen der 2. Dachstufe wurden teilweise Glasfenster eingebaut. Das Dach wird von vier Säulen getragen. Wie in allen anderen Matam Serais ist der Aufenthaltsbereich für Frauen durch durchbrochene, hölzerne Absperrwände separiert.

Abb. 19: Matam Serai von Gol (Mai 2012)

 Abb. 20: Dachaufbau der Matam Serai von Gol. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

Abb. 21: Innenraum der Matam Serai von Gol. Photo: Muhammad Kamal (Mai 2012)

5. Matam Serai von Shigri

Der ältere Teil des heutigen Shigri ist ein südwestlich und in Sichtweite von Skardu hoch am Berg gelegener, sehr geschichtsträchtiger Ort. Am oberen Ortsende von Shigri unmittelbar in der Nähe der zerstörten Bergfestung und unweit eines großen Felsbrockens, der als Inaugurationsstein für die Einsetzung der Thronfolger der Könige von Skardu diente, findet sich eine alte Matam Serai (Abbildungen 23-29) mit einer kleinen Moschee. Zum Umfeld dieser Gedenkhalle gehören ein Friedhof und ein neugebauter Astana. Der Dachaufbau dieser Matam Serai ist einstufig. Die Innenräume konnten nicht besichtig werden, da bei meinem Besuch der Schlüsselträger nicht auffindbar war.

 Abbildung 22: Ostseite der Matam Serai von Shigri. Rechts daneben die angrenzende kleine Moschee (Mai 2012)

Abbildung 23: Südseite der Matam Serai von Shigri mit dem typischen Dachaufbau. Photo: Siegfried Rademacher (Mai 2012)

   

Abbildungen 24: Eingang zur Matam Serai von Shigri (Mai 2012)

 

Abbildung 25: Eingang zur Matam Serai von Shigri (Mai 2012)

6. Literatur

Ahmad Hasan Dani: Islamic Architecture. The Wooden Style of Northern Pakistan. Islamabad 1989
Max Klimburg: Traditional Art and Architecture in Baltistan. In: Karakoram. Hidden Treasures in the Northern Areas of Pakistan. Edited by Stefano Bianca. The Aga Khan Trust for Culture 2005, S. 149-164
Dieter Schuh: Reise in die Geschichte Baltistans, 3 Bd. Andiast 2011

Autor: Dieter Schuh, 2012 

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