Tibet-Encyclopaedia

 

 

 

Abbildung 1: Die Bergwelt und das Industal in Kartaksho, hier mit einer Brücke über den Indus zwischen Parkuta und Tolti photographiert (Oktober 2007)

Kartaksho (Kharmang)

Kartaksho (auch Kartákhshá, Kartakhshah, Kartakshe, Katakchund, Tibetisch Gar-dag-sha, Skar-stag-sha oder bKar-btags-sha geschrieben) war eines der drei kleineren Herrschaftsgebiete der sechs ehemaligen Königreiche von Baltistan (Klein-Tibet). Der Hauptort dieses Königreiches war Kharmang (Karmang, auch Anthokar genannt), wo sich auch die früher als uneinnehmbar angesehene, wichtigste Bergfestung dieses Landes befand. Der Name Kharmang wird auch gelegentlich als Bezeichnung des ganzen Landes verwendet. Kartaksho erstreckte sich vom Zusammenfluss des Indus und des Shayok auf beiden Seiten des Indus in südlicher Richtung bis kurz vor Marol. Zusätzlich gehörten die Gebiete auf der linken Seite des Drass-Flusses vom Zusammenfluss des Drass-Flusses mit dem Shingo-Fluss bis nach Marol und die wenig besiedelten Täler des Shingo- und Shigar-Flusses nördlich von Drass zu diesem Königreich. Als wichtige Orte nord-westlich von Kharmang sind Sermik, Parkuta und Tolti zu nennen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Gebiete um Tolti und Parkuta von Kartaksho abgetrennt und bis 1840 als eigenständige Herrschaftsgebiete regiert. Heute gehört Kartaksho zum Skardu-Distrikt. Das Gebiet südlich von Tolti einschließlich des Hauptortes Kharmang ist seit Jahrzehnten militärisches Sperrgebiet und kann von Touristen nicht besucht werden. Der letzte Herrscher von Kartaksho Ali Sher Khan (III) spielte für die Geschichte Baltistans insofern eine wichtige Rolle, als er durch seine aktive Unterstützung des Feldherren Zorawar Singh, der die Truppen der indischen Dogras auf ihrem Feldzug gegen Baltistan im Jahre 1840 anführte, maßgeblich zum Verlust der Eigenständigkeit Baltistans beitrug.

   

Abbildung 2: Der nördliche Teil von Kartaksho von Sermik (Sermi) bis Tolti (Tholdi). Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik 

 

Abbildung 3: Der südliche Teil von Kartaksho von Kharmang bis zum Grenzort Marol. Ausschnitt aus "India and Pakistan" (Jammu and Kashmir) Ni-43-03. 1:250.000. Mundik

Die ältesten Hinweise auf Kartaksho bzw. Kharmang finden sich in der Verschronik Shigar Nāma und in tibetischen Herrscherurkunden bzw. in einem königlichen Sendschreiben aus Ladakh (Schuh, S. 185f, 192, 200f und 203-208; Francke, S. 233). Davon ist das Shigar Nāma dem 17. Jahrhundert zuzuordnen, während die ladakhischen Dokumente im 18. Jahrhundert ausgefertigt wurden. Die für westliche Leser erstmalig zugängliche Erwähnung von Kartaksho unter der Bezeichnung Kartákhshá stammt von Captain Claude Martine Wade (1794-1861), der dieses Herrschaftsgebiet in einem 1835 im Journal of the Asiatic Society of Bengal erschienenen Aufsatz aufführte (Wade, S. 595f) und erwähnt, dass Kartaksho von Ali Sher Khan regiert wurde. Nach Wade wurden 1829 die ehemals zu Kartaksho gehörenden Gebiete von Tolti und Parkuta als separate Herrschaftsgebiete verwaltet. Über die Burg von Kharmang schrieb Wade (S. 597): „Kartákhshá is also a fort of some note. It is situated on the Indus, in the vicinity of some high hills. The country about it is said to be rugged and difficult, and the fort itself to be a place of some strength and importance, from its situation on the Ladákh frontier.”

Abbildung 4: Die Bergfestung von Kharmang im Jahre 1913/14 nach De Filippi, S. 36

Godfrey Thomas Vigne, der Baltistan zwischen 1835 und 1838 mehrfach bereiste, hat seine Reise nach Kartaksho, auf der er dem Herrscher von Kartaksho mehrfach begegnet ist, eingehend beschrieben (Vigne, S. 323-329). Ihm verdanken wir auch eine Zeichnung der Brücke über den Indus bei Tolti. Bei Vigne findet sich auch der Hinweis, dass schon zu seiner Zeit neben der Bergfestung auch die am Indus gelegene Wohnburg von Ali Sher Khan existierte. Von herausragender Bedeutung für die Kenntnis von Kartaksho war die im Jahre 1842 von John Walter nach den Angaben von Godfrey Thomas Vigne im Auftrag der East India Company erstellten Landkarte „Kashmir; With its Passes; Ladak  & Little Tibet, The Mountain Course of the Indus; and the Alpine Pajab generally“. Hierdurch wurden zum ersten Mal überhaupt die Lage von Kartaksho und zahlreicher seiner Orte bekannt gemacht.

Abbildung 5: Landkarte von Kartaksho nach den Angaben von Thomas Godfrey Vigne, 1842 von John Walter erstellt 

Thomas Thomson, der im Dezember 1847 vergeblich versuchte, über Kartaksho nach Dras und von dort aus weiter nach Kaschmir zu reisen, hat die insbesondere die Orte Tolti, Parkuta und Kharmang gut beschrieben (S. 229-242). Den letztgenannten Ort erwähnt er mit der Bezeichnung Karmang oder Kartash. Interessant sind seine Beobachtungen zu den klimatischen Verhältnissen von Kartaksho (S. 230). Er schreibt, dass die Temperaturen deutlich niedriger waren als in den offenen Tälern, die für die Landesteile Skardu, Shigar, Kiris und Khaplu charakteristisch sind. Über die Bergwelt von Kartakasho schrieb Thomson folgendes (S. 233): „The mountains all along this ravine are extremely elevated, the peaks above Kartash … being, I should think, not less than 18,000 feet. The bareness and desolation of their sides exceeded anything I had seen since leaving Iskardo, and quite equalled the most rugged parts of Tibet which I had yet visited. They consisted of large masses of rock, split and fractured in every direction, often very precipitous, without a vestige of soil, and with scarcely the slightest traces of vegetation.”

Abbildung 6: Das von Thomas Thomson beschriebene Industal mit seinen angrenzenden Bergen in Kartaksho vor Tolti (Oktober 2007)

Unmittelbar hinter Kharmang verengt sich der Indus bis Tolti zu einer Schlucht, so dass man an den Engstellen in Kharmang und Tolti jeweils eine Hängebrücke errichten konnte. Eine eingehende Beschreibung dieser Brücken verdanken wir wiederum Thomson (S. 242): „At Tolti and at Karmang are the only rope-bridges which I saw on the Indus, above Skardu. The cables used in their construction are here made of willow twigs, twisted into a thick rope. Seven such ropes on each side are combined to form the parallel lateral cables, about a yard apart, from which the road way of the bridge is suspended. These bridges are perfectly safe, though, from their open structure, rather formidable to those who are not accustomed to use them. The principle on which they are made is the same as one which is in use in all hill provinces of India…”

   

Abbildung 7: Die von Thomson beschriebene Brücke über den Indus bei Kharmang nach De Filippi, S. 115

 

Abbildung 8: Brücke über den Indus in Kartaksho nach de Filippi, S. 116 

Der alte Weg von Tolti nach Kharmang und die Wegstrecke, die von Kharmang weiter auf der linken Seite des Indus nach Süden führte, wurde auch von denen, die nach Thomson die Verbindung nach Baltistan über Kartaksho wählten, wie z. B. von Conway (1892) und De Filippi (1909 und 1913/14), ebenfalls als Route bewertet, die sehr schwierig zu begehen war. Dies zeigen auch die von De Filippi und Conway veröffentlichten Bilder dieses Weges. Heute verläuft dort auf der linken Seite des Indus eine neuerbaute Autostraße, die während meines Aufenthaltes in Tolti im Oktober 2007 asphaltiert wurde. Die enormen sozialen und ökonomischen Veränderungen, die die neue Autostraße von Skardu nach Kartaksho und die innere Erschließung dieses Landes durch diese Straße und die neu erbauten Brücken über den Indus mit sich brachte, sind in allen Orten, die außerhalb des miltärischen Sperrgebietes liegen und die man somit besuchen kann, deutlich sichtbar. Für Details sei auf den Artikel über Tolti verwiesen.  

 

 

   

Abbildung 9: Weg entlang des Indus im Jahre 1913/14 nach De Filippi 1, S. 113

 

Abbildung 10: Weg zwischen Kharmang und Tolti im Jahre 1909 nach De Filippi, S. 102

   

Abbildung 11: Weg entlang des Indus im Jahre 1892 nach Conway, S. 602 

 

Abbildung 12: Weg entlang des Indus im Jahre 1892 nach Conway, S. 596

Abbildung 13: Ausbau der Straße zwischen Tolti und Kharmang (Oktober 2007)

Die besonderen, ungünstigen klimatischen Bedingungen und die unwirtliche Bergwelt von Kartaksho sind sicherlich der Grund dafür, dass dieses Land bei einigen Besuchern bzw. Betrachtern von außen einen zwiespältigen Eindruck hinterließ. Geradezu zu typisch hierfür sind die Anmerkungen von Thomson über Kharmang (S. 231f): „Kartash being situated at the northern or lower end of the great bend of the Indus, and in an extremely narrow part of the ravine, is a most sombre-looking place. It is possible, however, that in summer, when the villages are green with cultivation and fruit trees, the appearance of this and other places may be less gloomy, and that, from having seen this part of Tibet in the depth of winter, I may be disposed to regard it in too unfavourable a point of view. The abrupt and precipitous rise of the mountains on all sides must undoubtedly tend strongly to modify the summer temperature, which, from the want of rain, and the reflections from masses of bare rock, would otherwise be oppressive.”

Bemerkenswert sind auch die Bemerkungen über Kartaksho in der Verschronik Shigar Nāma, die gewissermaßen eine Meinung über Kartaksho innerhalb von Baltistan wiederspiegeln und die ich hier in der Übersetzung von Behrouz (S. 105) wiedergebe: „ … dort ist es unmöglich glücklich zu sein. Seine Bewohner sind arm und habgierig. Sie sind so geizig, dass sie nicht einmal bereit sind, einem Derwisch einen Laib Brot zu schenken. Es ziemt sich, sie mit dem Schwert zu köpfen. Ihr Land ist eine Steinwüste, und ihr Obdach ist auf den Gipfel des Berges. Ihre Heimat liegt zwischen zwei Bergen, sogar der Berg kann ihr Elend nicht ertragen. Zwischen diesen beiden hohen Bergen fließt der drohende Nīlāb (= Indus).  An zwei oder drei Stellen überspannen Brücken den blauen Strom. Aber was für Brücken, wie Blütenblätter schweben sie in der Luft!“

Der bedrohliche Eindruck dieses Landes wurde möglicherweise auch durch den Namen Kharmang verstärkt, der „(Land der) vielen Festungen“ bedeutet. Gleichwohl wurde diese negative Einschätzung von Kharmang nicht von allen Besuchern geteilt. So findet sich in dem Reisebericht von Károly Jenö Ujfalvy (S. 258), der Kharmang im Jahre 1881 besuchte, folgende Beschreibung: „Als die schönsten Punkte im oberen Industhal, welches wir durchzogen, verdienen folgende zwei angeführt zu werden: die Vereinigung des Indus mit seinem größten rechtseitigen Nebenfluss, dem Schayock …, welche in einer höchst wildromantischen Gegend etwas oberhalb von Gol vor sich geht; ferner die auf einem Felsabhang errichtete Festung Kharmang, welche weithin das Thal beherrscht. Man kann sich nicht leicht etwas Schöneres vorstellen als den Flecken Kharmang, der, am rechten Indusufer gelegen, wie aus einer fast senkrechten Wand herausgewachsen erscheint. Dort bekamen wir auch eine der größten Seilbrücken über den Indus zu sehen.“

Abbildung 14: Der Indus im Bereich der nord-westlichen Grenze von Kartaksho unmittelbar vor dem Zusammenfluss mit dem Shayok (Oktober 2007)

Nach Hashmatullah Khan (S. I, dort wird Karatksho als Parkuta aufgelistet) betrug die Einwohnerzahl von Kartaksho nach der Volkszählung des Jahres 1911 8.321 Personen. Der Hauptort Kharmang hatte 1951 816 und 1961 856 Einwohner (Afridi, S. 279).

Über die Geschichte von Kartaksho vor dem 17. Jahrhundert liegen uns keine durch historische Quellen belegten Fakten vor. Cunningham (S. 31f) veröffentlichte 1854 eine Liste der Herrscher von Kartaksho, die er allerdings dem Ort Parguta (= Parkuta) zuordnet und unter dem Familiennamen Makpon auflistet. Frankes (S. 191) Genealogie dieser Herrscher, die er als „Dmag-dpons of Parkuda“ bezeichnet, ist nur eine Kopie dessen, was Cunningham veröffentlicht hat. Hashmatullah Khans (S. VI) Version dieser Genealogie ist mit „Genealogy of the Maqpon Rajas of Kartakshah“ betitelt und Afridi (Appendix I) bezeichnet seine Herrscherliste mit „Genealogical table of Kartaksho dynasty.“ Beide unterscheiden sich erheblich von Cunninghams Auflistung. 

Allen diesen Herrscherlisten ist gemeinsam, dass sie Ali Sher Khan, den berühmten König von Skardu, der um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert regierte, mitaufführen und den insbesondere Afridi und Hashmatullah Khan gut bekannten Herrscher Mirza Khan einfach weglassen. Dabei erscheint als weitgehend ausgeschlossen, dass Ali Sher Khan und sein ältester Sohn und unmittelbarer Nachfolger Ahmad Khan, falls Kartaksho ihnen unterstand, die Verwaltung von Kartaksho selbst übernommen und nicht einem Dritten übertragen haben. Hierzu gibt Hashmatullah Khan unter Berufung auf eine sogenannte „common traditon“ eine Version der sogenannten frühen Geschichte von Kartaksho, in der der sowohl aus der Verschronik Shigar Nāma (Behrouz, S. 84-112) als auch aus indischen Quellen (Ináyat Khán, S. 98) belegte Mirza Khan vorkommt. Nach Hashmatullah Khan war Mirza Khan ein Sohn von Haidar, den Ali Sher Khan als Gouverneur von Kartaksho eingesetzt haben soll. Haider wiederum gehörte nach Hashmatullah Khan (S. 82) der „Anthok Dynasty“ an, deren Gründer Chuanthok aus einem dardischen Volksstamm stammen soll. Nach ihm wurde die Bergfestung von Kharmang Anthok Khar genannt. Hashmatullah interpretierte in diesem Zusammenhang offenbar die erste Silbe „Chu“ als Titel, was insofern nachvollziehbar ist, als Chu bzw. Cho oder Tibetisch Jo der geläufige Titel eines Herrschers in Baltistan war.

Vermutlich stammen die Darlegungen von Hashmatullah Khan, die auch von Afridi (S. 155f) nacherzählt werden, wenigstens z. T. aus der Volksliteratur Baltistans und sind als Ursprungslegenden historisch nicht verwertbar. Von Interesse ist aber der Name Anthok als Bezeichnung der Herrscherfamilie von Kartaksho, da dieser auch in einem Sendschreiben des ladakhischen Königs Tshewang Namgyel (Tshe-dbang rnam-rgyal), der von 1753 bis 1782 regierte, als Go-ran-thog in Erscheinung tritt (Schuh, S. 203-208). Hiernach gehörte der zu dieser Zeit regierende Kartaksho-Herrscher Abdul Rahim Khan dieser Herrscherfamilie an, was zu der Frage führt, wieso diese Familie von allen, die sich damit bisher beschäftigt haben, als Makpon-Herrscherfamilie aufgeführt wurde. Der Grund liegt vermutlich in der Person von Sher Khan, der nach 1650 die Macht in Kartakho übernahm und der zweifellos als Enkel von Ali Sher Khan der Makpon-Herrscherfamilie von Skardu zuzurechnen ist. Es besteht wenig Zweifel darüber, dass Ali Sher Khan nach seiner endgültigen Niederlage im zweiten Krieg gegen Imam Quli Khan von Shigar zu Beginn der achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts auch seine Machtstellung in Kartaksho verlor. Über seine Nachfolge ist nichts bekannt. Die Nennung des Namens Anthok in dem erwähnten ladakhischen Sendschreiben als Familienbezeichnung läßt aber die Schlussfolgerung zu, dass entweder unmittelbar nach der Entmachtung von Sher Khan oder bei einem späteren Herrscherwechsel ein Nachfahre von Mirza Khan wieder die Macht in Kartaksho übernommen hat.

Mirza Khan (regierte bis in die fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts)

Siehe auch den Sonderartikel: Mirza Khan

Als erster, durch historische Quellen belegter Herrscher von Kartaksho ist somit Mirza Khan zu nennen, der bis in die fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts dieses Land regierte. Er ist der Anthok-Familie zuzurechnen. In den vierziger Jahren des gleichen Jahrhunderts verwaltete er zusätzlich als Statthalter von Adam Khan das Herrschaftsgebiet von Skardu. Da er gegen Adam Khan rebellierte, wurde 1650/51 auf Befehl des Moghul-Kaisers Shah Jahan eine kaiserliche Armee von Kaschmir aus gegen ihn in Marsch gesetzt. Dies hatte seine Absetzung in Skardu zur Folge.

In den fünfziger Jahre unternahm Murad Khan, der neue Herrscher in Skardu, im Bündnis mit Imam Quli Khan aus Shigar einen Feldzug gegen Kartaksho. Das Ergebnis war die Entmachtung von Mirza Khan, der nach Khaplu ins Exil gehen konnte. Nach der Eroberung von Khaplu durch Murad Khan wurde Mirza Khan nach Indien deportiert.

Sher Khan (regierte seit den fünfziger Jahren bis in die achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts)

Siehe auch den Sonderartikel: Sher Khan

Als Nachfolger von Mirza Khan setzte Murad Khan seinen Bruder Sher Khan als Herrscher von Kartaksho ein. Nach dem Tod von Murad Khan in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts gelang es Sher Khan für zwei Perioden, auch die Macht in Skardu an sich zu reißen. Er entfachte zwei Kriege gegen Imam Quli Khan von Shigar mit dem Ziel, die Macht über ganz Baltistan zu erlangen. Sher Khans Herrschaft endete in den achtziger Jahren des 17. Jahrhunderts.

Nach den Genealogien von Hashmatullah Khan und Afridi war Aziz Khan der Nachfolger von Sher Khan. Cunningham führt zunächst Azizcho auf und verzeichnet als dessen Nachfolger wiederum Azim Khan. Über diese Personen ist aus historischen Quellen nichts bekannt.

Saadat Khan (Regierungszeit endete 1762)

Historisch greifbar ist allerdings der nächste Herrscher von Kartaskho, der als Sahadat Khan (Cunningham), Sadat Khan (Hashmatullah Khan) oder Saadat Khan (Afridi) aufgeführt wird. Seine Herrschaft ist durch eine Herrscherurkunde des ladakhischen Königs Tsewang Namgyel belegt, die am 27. Juli 1762 ausgefertigt wurde und die kriegerische Ereignisse des Jahres 1762 in Baltistan behandelt. In dieser Urkunde wird er als Jo Sa-dad erwähnt. Die in dieser Urkunde geschilderten Ereignisse beziehen sich auf einen Krieg von Skardu gegen das Königreich Shigar, den der Herrscher von Skardu Mohammad Zafar Khan angezettelt hatte. An diesem Krieg hatte Saadat Khan von Kartaksho sich als Verbündeter von Mohammad Zafar Khan beteiligt. Als in diesem Krieg Truppen aus Ladakh zur Unterstützung von Shigar im Jahre 1762 eingriffen, marschierte der ladakhische Feldherr nang-gtso Trashi (bKra-shis) von Ladakh aus entlang des Indus bis Kartaksho vor, wo er den Wesir Khyi-gu-pa mit zwanzig seiner Krieger gefangen nehmen konnte. Saadat Khan, der Herrscher von Kartaksho hatte sich in die Festung von Nar zurückgezogen. Nang-gtso Trashi konnte auch diese Burg erobern und Saadat Khan mit achtzehn Begleitern festnehmen. Die ladakhischen Truppen beendeten diesen Krieg siegreich, was den Fortbestand des Königreichs Shigar sicherte. Wir können davon ausgehen, dass die Herrschaft Saadat Khans mit dieser Niederlage im Jahre 1762 endete. Eine Faksimile-Edition und eine Teilübersetzung der hier zitierten ladakhischen Herrscherurkunde finden sich in dem Sonderartikel über Mohammad Zafar Khan.

Abdul Rahim Khan (regierte zwischen 1762 und 1782)

Nach Cunningham war Abdul Rahim Khan nach Saadat Khan Herrscher von Kartaksho. Hashmatullah Khan und Afridi verzeichnen als Saadat Khans Nachfolger Azam Khan, auf den nach ihren Angaben Abdul Rahim Khan folgte. Über Azam Khan liegen mit keine historisch verlässlichen Informationen vor. Abdul Rahim Khan wird in dem oben erwähnten Sendschreiben des ladakhischen Königs Tshewang Namgyel erwähnt. Die beschriebenen Ereignisse fanden somit zwischen 1762 und 1782 statt. Da das genannte Sendschreiben die angespannte Situation zwischen dem Königreich von Ladakh und Kartaksho gut erfasst, sei es  hier noch einmal in Faksimile und  Übersetzung wiedergegeben:

Abbildung 15: Das Kartaksho betreffende Sendschreiben des Königs Tshewang Namgyel (1753-1782)

 „Gesandt an den Burgvogt (mkhar-dpon) Nor-bu.

Nach dem Inhalt des neulich vom Drag-shos aus Kha-la-tse eingetroffenen Briefes, hat dieser bis Mo-rol einen Mann geschickt, um etwas über die Verhältnisse in Kartaksho (bKar-btags-ša) zu hören. Dadurch das der Herrscher (Jo) Abdul Rahim (Ab-rdu ra-him), Vater und Söhne, von der Gesamtheit des Volkes von Kartaksho (dKar-btags-sha) nicht (mehr) gestützt wird, hat die Gesamtheit des Volkes gegenüber der Go-ran-thog(-Familie) immer wieder rebelliert. Insofern sei es nun erforderlich, innerhalb von zehn,  fünfzehn Tagen einen Truppenteil vorzuweisen. Mit dieser Mitteilung ergab sich zwar eine Person und eine eindringliche … , jedoch kann man den Gepflogenheiten der Balti (sBal-ti) nicht trauen. Nun bist Du nicht nur jemand, der im Hinblick auf jene Gegend Kenntnisse hat, Du besitzt auch das das Vertrauen des Königs und der Minister. Darum ist, nachdem der Drag-shos die Lage genau geschildert hat, dies auch Dir übermittelt worden. Falls bezüglich der Wahrheit der Äußerungen des Mannes von Kartaksho (dKar-btags-sha) über das (dortige) Volk die Umstände sicher sind, ist es erforderlich, von hier Truppen so schnell wie möglich zu schicken. Nachdem nun von Dir selbst und von dem Drag-shos ohne Rücksicht auf Tag und Nacht nach Kartaksho (dKar-btags-sha) (sofort) ein Spion geschickt wird, so ist, sobald es sicher ist, dass das von dem Mann aus Bho-ti und über das Volk (von Kartaksho) Gesagte wahr ist und bei einer Divination (mo)  exakt bestätigt wird, dies ohne Rücksicht auf Tag und Nacht (sofort) nach hier zu übermitteln. Sobald dies hier eingetroffen ist, wird von hier aus definitiv ohne Verzögerung eine Truppe aufgestellt.
 
Indem diese Pläne durch wen auch immer nicht nach außen sickern dürfen,  sind sie so geheim wie möglich zu halten. Falls unter Nichtbefolgung hiervon irgendwelche davon hören und es dadurch zu einem Geheimnisverrat kommt, so behaltet im Sinn, dass außer der Kenntnisnahme durch Dich  und den Drag-šos es  weitere, die es erzählen könnten, nicht gibt.

Die vom Drag-shos an den ga-ga Don-grub und (ga-ga) Rab-brtan gerichteten Briefe habe ich dorthin bringen lassen.

Falls ihr mit sicherem Vertrauen annehmt, dass ihr einen (entsprechenden) Auftrag erhalten werdet, so brecht als Vorhut auf, wobei ihr die Männer aus rDo-khar und sKyid-can mitführt. Dabei ist von sehr großer Bedeutung, im Sinn zuhalten, dass …mit außerordentlicher Anstrengung (Truppen) ausgehoben werden dürfen.

Wenn wie oben (beschrieben) Verlässlichkeit besteht, so ist es von sehr großer Wichtigkeit, dass man, nachdem man in der Zusammenkunft an diesem und jenem Tag eine abschließende Beurteilung erzielt hat, diese hierher sofort weiterleitet. Zusammen mit einer Briefbeigabe am 11. Kalendertag geschrieben.
 
Es sind vier Pakete Tee mitgeschickt worden. Diese dürfen an die, die es benötigen, verteilt werden.“

Es ist bisher nicht bekannt, ob es aufgrund des Aufstandes gegen Abdul Rahim Khan zu einem Eingreifen ladakhischer Truppen in Kartaksho gekommen ist. Ebenso wissen wir nichts ist über den Ausgang der im Sendschreiben erwähnten Revolte gegen den Herrscher von Kartaksho und seine Familie.

Mohammad Ali Khan

Mohammad Ali Khan, auch Mahomed Ali bzw. Muhammad Ali Khan geschrieben, wird  in allen bekannten Herrscherlisten von Kartaksho als Nachfolger von Abdul Rahim Khan aufgeführt. Seine Regierungszeit fällt in die Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. Quellen über Ereignisse aus seiner Regierungszeit liegen nicht vor.

Ali Sher Khan (III) (Regierungszeit von 1829 bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts belegt)

Siehe auch den Sonderartikel: Ali Sher Khan (III)

Wie oben schon dargelegt, ist durch einen 1835 erschienenen Aufsatz von Captain Claude Martine Wade belegt, dass Ali Sher Khan unter der Oberherrschaft von Ahmad Shah aus Skardu im Jahre 1829 in Kartaksho regierte. Zu dieser Zeit waren die Gebiete um Tolti und Parkuta schon von Kartaksho abgetrennt und wurden von Verwandten Ahmad Shahs regiert. Parkuta unterstand Ghulam Shah, einem Bruder von Ahmad Shah, und Tolti wurde von Ahmad Khan regiert, der ein Cousin von Ahmad Shah war (Wade, S.595f). In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Ali Sher Khan und Ahmad Shah, in dessen Folge Ahmad Shah Truppen nach Kharmang schickte. Ali Sher Khan floh nach Purik, kehrte aber nach einer wohl vorgetäuschten Versöhnung mit seinem Onkel Ahmad Shah nach Kharmang zurück. In Purik hatte Ali Sher Khan heimlich den indischen Dogra-Ferldherrn Zorawar Singh getroffen, der 1834 mit Truppen in Purik eingefallen war. Ali Sher Khan sagte Zorawar Singh seine Unterstützung für den Fall zu, dass er Baltistan erobern würde.Tatsächlich spielte Ali Sher Khan beim Einfall der Dogra in Baltistan im Jahre 1840 insofern eine wohl kriegsentscheidende Rolle, als er während der ersten großen Schlacht an der Grenze zwischen Unterladakh und Baltistan seine Truppen plötzlich zurückzog und damit die Verteidiger unter Ahmad Shah nachhaltig schwächte. Er unterstützte Zorawar Singh bei dessen Vormarsch nach Skardu und bei der Konsolidierung von dessen Machtstellung in Baltistan. Während der zweiten Eroberung von Baltistan im Jahre 1842 stand er wiederum aktiv dem einmarschierenden Dogra-Feldherrn Wesir Lakhpat Rai zur Seite. In den folgenden Jahren unterstützte er mit seinen Truppen den späteren Mahārāja von Jammu und Kaschmir Gulab Sigh bei dessen Feldzug gegen Gilgit und bei dessen Machtübernahme in Kaschmir. Ali Sher Khan wurde für seine Taten von Gulab Singh fürstlich belohnt. Seine Familie nahm, was die Sonderrechte bei der Verwaltung der eigenen Güter in Kharmang betraf, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sonderstellung unter den ehemaligen Herrscherfamilien in Baltistan ein. Festzustellen bleibt aber, dass er maßgeblich für den Verlust der Eigenständigkeit Baltistans und das endgültige Ende der Selbständigkeit der sechs Königreiche dieses Landes mitverantwortlich war.

Literatur:

Banat Gul Afridi: Baltistan in History. Peshawar 1988
Koshrow Behrouz: Shigar-Nāma. Eine persische Verschronik über die Geschichte Baltistans. Kritische Textausgabe, Kommentar und Übersetzung. Unveröffentlichtes Manuskript aus den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts
William Martin Conway: Climbing and exploration in the Karakoram-Himalayas, with three hundred illustrations by A. D. McCormick and a map, London 1894
Alexander Cunningham: Ladák. Physical, statistical, and historical; with notices of the surrounding countries. New Delhi 1977 (reprint)
Filippo De Filippi: Karakoram and Western Himalaya 1909. An Account of the Expedition of H.R.H. Prince Luigi Amedeo of Savoy. Duke of the Abbruzzi. New York 1912
Filippo De Filippi 1: Storia della spedizione scientifica Italiana nel Himalaia Caracorum e Turchestan Cinese (1913-1914). Bologna 1923
A. H. Francke: Antiquities of Indian Tibet. Part (Volume) II. The Chronicles of Ladakh and Minor Chronicles. Texts and Translations, with Notes and Maps. (Reprint) New Delhi 1972
Hashmatullah Khan: History of Baltistan. Lok Virsa Translation, Islamabad 1987. Das Original in Urdu wurde 1939 veröffentlicht
Ináyat Khán: Sháh Jahán-náma. In: The History of India as Told by its Own Historians. The Muhammadan Period. The Posthumous Papers of the Late Sir H. H. Elliot. Edited and Continued by Professor John Dowson. Vol. VII. First Indian Edition. Allahabad 1964, S. 73-122
William Moorcroft and George Trebeck: Travels in India. Himalayan Provinces of Hindustan and the Panjab; in Ladakh and Kashmir; in Peshawar, Kabul, Kunduz and Bokhara; from 1819 to 1825. Prepared for the Press, from Original Journals and Correspondence, by Horace Hayman Wilson. Two Volumes. London 1841
Dieter Schuh: Die Herrscher von Baltistan (Klein-Tibet) im Spiegel von Herrscherurkunden aus Ladakh. In: Chomolangma, Demawend und Kasbek. Festschrift für Roland Bielmeier zu seinem 65. Geburtstag. Band 1: Chomolangma, Halle 2008, S. 165-225
Thomas Thomson: Western Himalaya and Tibet; A Narrative of a Journey through the Mountains of Northern India during the Years 1847-8. London 1852
Károly Jenö Ujfalvy von Mezokovesd: Aus dem westlichen Himalaja. Erlebnisse und Forschungen. Leipzig 1884
Godfrey Thomas Vigne: Travels in Kashmir, Ladakh, Iskardo. The Countries Adjoining the Mountain-Course of the Indus and the Himalaya North of the Punjab. Volume II, London 2005. Nachdruck der Ausgabe von 1842
C. M. Wade: Notes taken by Captain C. M. Wade, Political Agent at Ludiána, in 1829, relative to the Territory and Government of Iskárdoh, from Information given by Charágh Ali, an agent who was deputed to him in that year by Ahmad Sháh, the Gelpo or ruler of that country. The Journal of the Asiatic Society of Bengal, Vol. IV, January to December 1835, Calcutta 1835, S. 589-601

Autor: Dieter Schuh, 2011

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